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Song to Song

Ekstatischer Überschuss

Eine Dreiecksbeziehung in der texanischen Musikszene ist der Hintergrund für Terrence Malicks jüngsten Stream-of-Consciousness-Bilderstrom, in dem es vor allem um eins geht: Um das Bedürfnis des Menschen nach körperlicher Berührung.

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Man komme Terrence Malick nicht mehr mit Geschichten. Seit TREE OF LIFE (2011) ist sein Interesse daran, eine Geschichte linear, plausibel und psychologisch realistisch zu erzählen, merklich erkaltet. Das passt zur Biografie eines verschrobenen Künstlers, der als intellektuelles Wunderkind begann, dann jahrzehntelang von der Bildfläche verschwunden war und sich nach ersten zögerlichen Lebenszeichen seit wenigen Jahren in einem wahren Arbeitsfuror als wunderlicher Kino-Philosoph neu erfindet, der dem Dasein der Welt, ihren Formen und Farben eine Kino-Kathedrale nach der nächsten baut. Und war TREE OF LIFE ästhetisch noch ein durchkomponierter Film, ist Malick auch diesem Käfig formaler Geschlossenheit längst entschlüpft: Seine neuesten Filme taumeln durch die Welt, rennen Schmetterlingen hinterher, verlieben sich in den Lichterglanz einer Metropole bei Nacht und besteigen jeden Gipfel und Baum in Sichtweite des hungrigen Kinoauges von Kameramann Emmanuel Lubezki.

Man kann das für beliebig halten, für Werbe-Ästhetik, für das prätentiöse Raunen eines alten Mannes, der zum spirituell redlichen Leben mahnt. Eine zweifellos plausible Lesart, die jedoch den ekstatischen Überschuss ausblendet, den Malicks jüngere Filme am laufenden Meter hervorbringen. Sehr konkret um Ekstase geht es auch in SONG TO SONG, mit dem der Regisseur nach KNIGHT OF CUPS, seinem Film über das Filmbiz, nun das Musikgeschäft in den Blick nimmt - zwei Industrien also, die nach Malicks mutmaßlicher Ansicht zentral für die Profanisierung des Bedürfnisses der Menschen stehen, die Welt zu poetisieren. In bewährt fragmentierter Manier “erzählt” Malick vor dem Hintergrund der vitalen Musikszene im texanischen Austin von Faye (Rooney Mara), einer Musikerin, die in eine Liebes-Konstellation zwischen dem Musiker BV (Ryan Gosling) und dem sardonischen Produzenten Cook (Michael Fassbender) gerät. Letzterer interessiert sich überdies für die Kellnerin Rhonda (Natalie Portman) - und dafür, wie er BV übers Ohr hauen kann.

Was im Konfektionskino eine nett-beliebige Arthouse-Geschichte geworden wäre, gerät bei Malick zum Stream-of-Consciousness-Bilderstrom, in dem die Voiceover der Protagonist*innen das frei flottierende Geschehen wenigstens lose erden. Derart losgelöst von den Mechanismen und Zwängen des Erzählens, legt Malick frei, worum es ihm tatsächlich geht: Um das Bedürfnis des Menschen nach körperlicher Berührung.
Ob nun in zärtlicher Kontemplation zweier Liebender, beim Herumtollen zweier Freunde oder im ekstatischen Moment eines Pogo-Pits: Die Menschen in SONG TO SONG umtänzeln einander, umgarnen sich, fallen übereinander her, tragen einander, halten sich - ein Körperkino ganz eigener Art. Und wie um zu unterstreichen, dass es ihm nicht um die authentische Darstellung einer Nischenkultur geht, unterlegt Malick die wilden Hardcore-Punks mit käsiger Dance-Mucke. Weil es nicht um das Besondere, sondern um das Allgemeine geht.

Um Ekstase, Musik, Wahnsinn - kein Zufall, dass bei den alten Griechen all dies in den Zuständigkeitsbereich eines einzelnen Gottes, Dionysos, fiel. Wie Auguren der Altvorderen lässt Malick hier denn auch Patti Smith, Iggy Pop, John Lydon und, wenn man so will, in Gestalt von Val Kilmer noch den Lizardking Jim Morrison auftreten, die auf je eigene Weise für einen ekstastischen Aufbruch in der Popmusik stehen. Wie sediert wirken dem gegenüber die Designerwohnungen, die Malick mit der heutigen Musikindustrie verbindet. Der Titel SONG TO SONG bezeichnet eben nicht nur die schiere Masse an Musikstücken unterschiedlichster Epochen, die Malick aneinander reiht, sondern verweist auch auf eine historische Differenzqualität.

Deutlich ausgeprägter als im Vorgänger zelebriert Malick die jauchzende Epiphanie des Sakralen im Trivialen. Der Film mündet in ein Ende, das man konservativ nennen mag oder naiv verträumt. Es ändert nichts daran, dass SONG TO SONG den Mensch und dessen Bedürfnis nach Singen und Lachen, Lieben und Tanzen, nach Berührung wie ein Wunder bestaunt und feiert.

Thomas Groh

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