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Schneeglöckchen blühn im September

Christian Ziewers’ dokumentarischer Spielfilm über den Arbeitskampf in einem Großbetrieb erzählt von den politischen und persönlichen Interessen seiner Protagonisten und knüpft dabei an die Traditionen des proletarischen Kinos in der Weimarer Republik an.

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"Dies ist die Geschichte von zwei Arbeitern: dem jungen Akkordarbeiter Ed und dem Vertrauensmann Hannes. Es ist auch die Geschichte eines großen Betriebes und seiner Belegschaft."

So wurde Christian Ziewers 1974 uraufgeführter Spielfilm SCHNEEGLÖCKCHEN BLÜHN IM SEPTEMBER einst angekündigt, ein herausragender Vertreter der (West-) „Berliner Arbeiterfilme“ der siebziger Jahre. Heute werden diese Produktionen – wenn sie überhaupt noch wahrgenommen werden – gern belächelt als (auch in ihrer angeblichen Untauglichkeit) zeittypische Versuche Intellektueller, die Proletarier zu agitieren. Häufig beruht diese Einschätzung auf einem Vorurteil – wie es wiederum für unsere Zeit typisch ist – und auf schlichter Unkenntnis.

Um so überraschter ist man, wenn man (wieder-) sieht, auf wie erstaunlich spannende Weise Ziewer (der im April 2016 seinen 75. Geburtstag feierte) in SCHNEEGLÖCKCHEN BLÜHN IM SEPTEMBER schildert, wie Arbeiter in einem metallverarbeitenden Betrieb sich gegen Lohndrückerei, die Verlagerung ihrer Fabrik, drohenden Arbeitsplatzverlust und andere Pläne ihres Arbeitgebers wehren. Dabei werden keine „Arbeiterhelden“ gezeichnet, sondern Menschen voller Fehler und Ängsten, mit Hobbies und Familienleben. Und es wird auch gezeigt, welche Probleme und Rückschläge es gibt, bis die Arbeiter ihren punktuellen, momentanen Sieg erringen: Dass schließlich doch Solidarität unter ihnen entsteht, ist fast so ein Wunder, wie Schneeglöckchen, die im September blühen. (Zugleich bezieht sich der Titel auf die wilden, also irregulären „Septemberstreiks“, die 1969 die BRD erschütterten.)

Wo in Deutschland sich dieses Geschehen abspielt, ergibt sich bei diesem Film – dem mittleren Teil einer Trilogie, zu der auch „Liebe Mutter, mir geht es gut“ und „Der aufrechte Gang“ gehören – vor allem aus dem von fast allen Figuren ausgiebig und originalgetreu gesprochenen Berliner Dialekt.

Dem Anspruch der Filmemacher gemäß, entstand auch dieses Werk nicht nur in engem Kontakt mit Arbeitern und wurde anschließend mit ihnen besprochen; auch vor der Kamera agierten zum Teil Laien. Die Musik schrieb die Politrockband Lokomotive Kreuzberg, deren Mitglieder Bernhard Potschka, Manfred Praeker und (ab 1976) Herwig Mitteregger 1978 die Nina Hagen Band mitgründeten, aus der dann Spliff wurde.

www.berlin-film-katalog.de

Details

BRD 1974, 108 min
Genre: Arbeiterfilm
Regie: Christian Ziewer
Drehbuch: Christian Ziewer, Klaus Wiese

IMDB

Vorführungen

Keine Programmdaten vorhanden.

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