Neue Notiz
Schlamassel
Stochern in der Vergangenheit
Die in Brandenburg an der Havel geborene Regisseurin und Drehbuchautorin Sylke Enders nimmt in SCHLAMASSEL die Nachwendezeit in der ostdeutschen Provinz auf kluge, differenzierte Weise in den Blick.
Was das Wort „Schlamassel“ bedeutet („schlimmes Glück“), muss Johanna (Mareike Beykirch) niemand erklären. Auf der Beerdigung ihrer Oma stellt sie ihren Erbschleicher-Onkel vor den Angehörigen bloß und lässt Opas Luftgewehr mitgehen. Nur mit ihrem Neffen Maik versteht sich die forsche, spröde 32-Jährige, die als Fotografin bei einem Lokalblättchen jobbt und ständig pleite ist. Als Maiks Nazi-Kumpel ihr ein Schwarz-Weiß-Foto der KZ-Aufseherin Anneliese Deckert zeigt, ist Johannas Neugier geweckt. Im brandenburgischen Nirgendwo des Jahres 1997 konfrontiert sie die mittlerweile 80-Jährige (Lore Stefanek) mit dem Zeitdokument, wirbelt in deren Familie Staub auf – und entdeckt Parallelen zu den Konflikten und Leerstellen in ihrer eigenen Familiengeschichte.
Wie Katharina Marie Schubert in DAS MÄDCHEN MIT DEN GOLDENEN HÄNDEN nimmt auch die 1965 in Brandenburg an der Havel geborene Regisseurin und Drehbuchautorin Sylke Enders in SCHLAMASSEL die Nachwendezeit in der ostdeutschen Provinz auf kluge, differenzierte Weise in den Blick. Wenn ihre Protagonistin Johanna in dem namenlosen, grau-braun-beige-verhangenen Ort in der Vergangenheit stochert, besteht immer ein Bezug zur erzählten Gegenwart. Hier leben die jungen Nazis der 1990er neben ehemaligen Stasi-Mitarbeiter*innen und Familien, die ihre eigene Verstrickung in die NS-Geschichte während der DDR-Zeit und danach nicht aufgearbeitet haben. Vordergründige Familienstreitigkeiten wie etwa um den materiellen Nachlass verbergen Tieferes: generationenübergreifende Traumata, Täterschaft, Verantwortung, Schuld. Im vielschichtig angelegten SCHLAMASSEL erweisen sich Johannas Nachforschungen als langwierig, doch angesichts der allgegenwärtigen Verdrängung und des Schweigens als unerlässlich.
Deutschland 2023, 115 min
Genre: Drama
Regie: Sylke Enders
Drehbuch: Sylke Enders
Kamera: Jakob Wehrmann
Schnitt: Sebastian Lempe
Musik: Bert Wrede
Verleih: déjà-vu film UG
Darsteller: Mareike Beykirch, Lore Stefanek, Michaela Caspar, Margarethe Tiesel, Lina Wendel
FSK: 12
Kinostart: 28.09.2023
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