Für die Iranerin Farahnaz Sharifi begann mit sieben Jahren ihr Doppelleben. Das im eigenen Zuhause, in dem getanzt und gesungen wurde, und das draußen, wo sie unter einem Hijab unsichtbar sein sollte, wo Musik und Tanz, wo singende Frauen ein Verbrechen sind. Daheim nimmt sie nach der Schule immer als erstes den Hijab ab. Dieses Stück Stoff, so Sharifi, sei die Kontrolle der Macht. Als Filmstudentin beginnt sie, mit ihrer Handykamera zu dokumentieren, wie eine Sucht. Partys mit Freund*innen in sicher geglaubten Privaträumen, bis die Sittenpolizei an die Tür klopft. Schmiergeld und Khomeinis Porträt an der Wand wenden eine Verhaftung ab. Nichts im Iran ist unpolitisch, weder die Körper der Frauen noch eine Geburtstagsfeier.
Sharifi beginnt, private Filmaufnahmen zu kaufen, die sie in Zweite-Hand-Läden findet. Zurückgelassen von denen, die den Iran wahrscheinlich längst verließen oder vielleicht nicht mehr am Leben sind. Super-8-Rollen mit tanzenden, singenden Menschen, Frauen im Bikini. Für Farishi sind die Aufnahmen Zeugen des Widerstands und der inneren Freiheit. Aus den eigenen Filmen und denen der Fremden fügt sie eine Art Video-Tagebuch zusammen, ein Dokument gegen das Vergessen, zu dem sie auch die Alzheimer-Erkrankung ihrer Mutter motiviert.
Sharifi filmt weiter. Dokumentiert Momente der Freude und Freundschaft, hält die Demonstrationen fest, die eigentlich unter dem Bilderverbot der theokratischen Herrschaft verschwinden sollten. Bis im Jahr 2022 die Jin-Jiyan-Azadî-Proteste dank Handykameras auf der ganzen Welt zu sehen sind. „Seit 40 Jahren schlucken wir in diesen Straßen Tränengas“, sagt eine Freundin Sharifis in die wackelige Handykamera, als sie sich von einer gewaltsam aufgelösten Demonstration zurückziehen müssen. MY STOLEN PLANET ist ein bewegendes Dokument dieses anhaltenden Widerstands, der Solidarität und der Hoffnung.

Clarissa Lempp