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Saint Omer

"Es war einfacher"

In einer französischen Kleinstadt findet einen Prozess gegen die senegalische Studentin Laurence statt, die am Strand ihr Kind getötet. Die Schriftstellerin Rama will den Prozess als Material für einen Roman über das Medea-Thema verwenden.

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In Saint Omer, einer französischen Kleinstadt am Meer, findet ein Gerichtsprozess statt. Auch Schriftstellerin Rama (Kayije Kagame) fährt hin. Angeklagt ist eine Frau, die am Strand ihr Kind getötet hat. Rama, selbst im vierten Monat schwanger, will den Prozess als Vorlage für ihren nächsten Roman, einer modernen Version der Medea-Sage, nutzen. Sie will, wie alle im Gerichtssaal, eine Antwort auf die Frage finden, warum eine Mutter ihr Kind tötet. Dass es darauf keine einfache Antwort gibt, wird allen Anwesenden bald klar. Die Angeklagte Laurence (Guslagie Malanda), im Senegal geboren, als Studentin nach Paris gekommen, ist eine ungenaue Erzählerin. Seltsam distanziert antwortet sie, spricht von Hexerei, von strengen Müttern, von der Unsichtbarkeit, die sie sich in Frankreich anlegte. „Es war einfacher“, wird sie immer wieder antworten auf die Frage nach dem Warum. Fasziniert verfolgt Rama, wie Laurence Geschichte langsam Form annimt. Eine Geschichte voller rassistischer Verletzungen, Traumata und Isolation. Eine Geschichte, die sich auch in Ramas eigener Familie spiegelt.

Regisseurin Alice Diop wechselt mit SAINT OMER vom Dokumentar- zum Spielfilm, greift aber auf wahre Begebenheiten zurück: den Fall von Fabienne Kabou, deren Verhandlung Diop 2013 verfolgte. Wie eine dritte beobachtende Instanz folgt Diop dem, was sich im Gerichtssaal abspielt und dessen Auswirkungen auf Rama. Die schier unfassbare Tat der Kindstötung wird auch in kulturellen und medialen Kontexten verhandelt. Diop arbeitet mit diversen Querverweisen: die Medea-Sage in Ramas eigenem Buch, Ausschnitte von Pasolinis MEDEA, die sich Rama ansieht, der Verweis auf Toni Morrisons Roman „Beloved“. Diop geht es dabei nicht um Mitleid oder um eine Verteidigung der Täterin. SAINT OMER schafft vielmehr einen Rahmen, der die komplexen und prekären Strukturen von Migration und Elternschaft aufzeigt.

Clarissa Lempp

Details

Frankreich 2022, 122 min
Genre: Drama
Regie: Alice Diop
Drehbuch: Alice Diop, Marie N'Diaye, Amrita David
Kamera: Claire Mathon
Schnitt: Benedicte Pollet
Verleih: Grandfilm Verleih
Darsteller: Kayije Kagame, Guslagie Malanda, Valérie Dréville, Aurélia Petit
FSK: 12
Kinostart: 09.03.2023

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