ROSALIE ist die Geschichte einer Frau mit exzessiver Körperbehaarung. Ihr Vater verheiratet die junge Rosalie (Nadia Tereszkiewic) Ende des 19. Jahrhunderts an einen Wirt, der die Mitgift von 15.000 Francs benötigt, um einen Teil seiner Schulden abzuzahlen. Abel (Benoît Magimel) ist ein etwas unbeholfener Mann mit einer Rückenverletzung, aber kein schlechter Kerl. Von Rosalies Behaarung weiß er zunächst nichts.
Vor einigen Jahren gab es den dänischen Film DAS LÖWENMÄDCHEN von Vibeke Idsøe, der eine ähnliche Geschichte erzählte. Stéphanie Di Giustos ROSALIE ist ein deutlich besserer Film, nicht nur wegen der exzellenten Kamera von Christos Voudouris (BEFORE MIDNIGHT). Rosalie mag eine Holzschnitzerei der Heiligen Kümmernis/Wilgefortis anbeten – eine Volksheilige, die als bärtige Gekreuzigte dargestellt wird und deren Ursprung fiktiv ist, die aber tatsächlich noch ins 20.Jahrhundert in Nordfrankreich verehrt wurde – aber sie lernt schnell, mit ihrer Besonderheit offensiv umzugehen. Sie bringt das Café in Schwung, und nach einer Wette lässt sie sich den Bart wachsen. Ihre Unbefangenheit macht sie zur Attraktion und sie wird von den Dorfbewohnern akzeptiert. Sie lässt Fotografien und Postkarten von sich anfertigen, und das Café wird über die Grenzen des Dorfes heraus bekannt. Nebenbei entfaltet der Film ein Sittenbild des Dorfes, in dem alle Bewohner von einem Großgrundbesitzer und Fabrikanten abhängig sind – und da beginnen die Probleme.
Es gibt tragische Elemente in ROSALIE, aber der Tingeltangel, der sonst ein typischer Bestandteil ähnlicher Geschichten ist, kommt hier nur in einer Alptraumsequenz vor. Rosalie ist auch ein Film über Unterdrückung, Vorurteile und Außenseiterinnen, aber ebenso wichtig ist die sinnlich inszenierte Annäherung zwischen Abel und Rosalie.

Tom Dorow