Etwas Bedrückendes liegt in der Luft, von Anfang an. Das Wiedersehen, auf das Edith (Trine Dyrholm) und Lucas (Tim Roth) zusteuern, ist überschattet von der Vergangenheit. Seit zehn Jahren leben sie getrennt, Kontakt gab es nicht. Ihre Ehe ist am Verlust des einziges Sohnes zerbrochen. Jetzt bringt ein seltsamer Anlass die Eltern wieder zusammen: Sein Grab soll verlegt werden; angeblich ist Gift in den Boden gelangt. Aber toxisch, das wird bald klar, ist vor allem die Beziehung zwischen Mutter und Vater, die, jeder auf seine Weise, mit ihrer Trauer umgehen. „Er fehlt mir so sehr wie damals,“ gesteht sie, „ist das verrückt?“ Als Lucas nur mit dem Kopf schüttelt, konfrontiert Edith ihn mit der ganzen Wucht ihrer Gefühle. Sie ist gereizt, verbittert, enttäuscht und so voller Wut, als hätte ihr Mann sie erst gestern verlassen. Dass er darauf mit einer gesunden Abwehrhaltung und entwaffnender Ehrlichkeit reagiert, macht das Gespräch nicht einfacher. Auch nicht für ihn.

Mit POISON hat Désirée Nosbusch keinen leichten Stoff für ihr Regiedebüt gewählt. Das Zweipersonenstück des niederländischen Dramatikers Lot Vekemans beginnt nüchtern und kühl, entwickelt sich aber ganz allmählich zu einer intensiven Auseinandersetzung darüber, wie ein Weiterleben nach dem Unglück möglich ist - oder nicht. Während Lucas, der damals weggegangen ist, mittlerweile einen Neuanfang gewagt hat, ist Edith gefühlt keinen Schritt weiter. Die harte Schale, in die Trine Dyrholm ihre Figur hüllt, wird im Laufe der Begegnung nur langsam brüchig - etwa wenn Tim Roth so schmerzliche Wahrheiten ausspricht wie: „Leiden macht süchtig. Dafür sollte es Entzugskliniken geben.“ Was in Erinnerung bleibt, sind nicht nur die Worte. Es ist der forschende Blick einer Kamera, die das Bühnenhafte zu nutzen versteht, es sind die Körper, Gesten, Bewegungen.

Pamela Jahn