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Music

Maximaler Minimalismus

Schanelecs Filme sind vehement anti-ekstatisch. Hier wird die – traurige - Musik aus der Tragödie geboren, und das Dionysische ist restlos verbannt.

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Angela Schanelecs MUSIC ist eine Art Umkehrung von Nietzsches „Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“. Nietzsche zielte auf eine ekstatische Kunst ab, als er die Tragödie als dionysische Kunst beschrieb, deren Ursprung er im berauschten, singenden und tanzenden Chor finden will. Schanelecs Filme sind vehement anti-ekstatisch. Hier wird die Musik aus der Tragödie des Ödipus geboren, und das Dionysische ist restlos verbannt. Um Psychoanalyse geht es Schanelec offenbar nicht. Ihr Ödipus bringt seinen Vater nicht um und heiratet auch nicht seine Mutter. Eher geht es um eine lähmende Traurigkeit, die sich in Musik auflöst.
Für Schanelecs Verhältnisse ist MUSIC stringent erzählt: Jonathan hat entzündete Füße. Er geht nicht mit seinen Freunden schwimmen, sondern bleibt beim Auto. Zwei junge Männer überfallen ihn. Er wird von einem Mann gefesselt in die Berge gebracht, wehrt sich aber, als ein anderer ihn küssen will. Der fällt auf einen Stein und ist tot. Das ist in maximalem Minimalismus gefilmt, ohne jede Leidenschaft. Jonathan landet in einem Gefängnis-Hospital, in dem stille junge Frauen in dezenten Uniformen seine Füße kurieren. Die Gefangenen tragen eine Variation der Kothurne, durch Holzklötze erhöhte Schuhe der Schauspieler des klassischen Theaters. Eine der Wärterinnen, Iro, kümmert sich besonders um Jonathan. Nach seiner Entlassung und Heilung heiraten sie und bekommen ein Kind. Es folgt eine Passage, in der sich die Figuren fast wie Menschen durch den Alltag bewegen. Dann beginnt der letzte Teil, für den Iro vorher eine Playlist der Musik an die Zellentür gehängt hat. Es wird gesungen. Der Gestus wird statisch, wie zu Beginn. Vielleicht heilt die Musik die Trauer, vielleicht wiederholt sie nur die Traurigkeit. Irgendwo wundert sich Nietzsche. Am Ende steht eine Prozession.

Tom Dorow

Details

Originaltitel: Music – Musik
Deutschland/Frankreich/Serbien 2023, 108 min
Sprache: Griechisch, Deutsch, Englisch
Genre: Drama
Regie: Angela Schanelec
Drehbuch: Angela Schanelec
Kamera: Ivan Marković
Verleih: Grandfilm Verleih
Darsteller: Aliocha Schneider, Agathe Bonitzer, Marisha Triantafyllidou, Argyris Xafis
FSK: 12
Kinostart: 04.05.2023

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