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Mein Praktikum in Kanada

Entscheidungsfindungs-Satire

Ein Regionalpolitiker ist plötzlich der entscheidende Faktor bei einer Abstimmung über einen Militäreinsatz. Die wütenden Fernfahrer, die Ureinwohner, seine Frau – alle haben einen Meinung, nur Guibord selbst würde sich am liebsten raushalten.

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Kanada ist groß. Sehr, sehr groß. Das ist eines der ersten Dinge, die Souverain Pascal (Irdens Exantus) als Assistent des Abgeordneten Steve Guibord (Patrick Huard, STARBUCK) erfährt. Nur mit einem Koffer in der Hand, aber mit einem schier unendlichem Vorrat an Jean-Jacques-Rousseau-Zitaten im Kopf, ist er aus Haiti gekommen, um in Kanada aus nächster Nähe zu beobachten, wie Demokratie gemacht wird. Unglücklich ist nur, dass Guibord selber gerade nicht weiß, was er machen soll. Sein Büro ist im Obergeschoss eines Lingerieladens und sein Wahlkreis ist das abgelegene Prescott-Makadewà-Rapides-aux-Outardes. Und da Guibord unter Flugangst leidet, muss er ständig mit dem Auto Strecken fahren, die sich so lang hinziehen wie der Name der Region. Am liebsten würde der parteilose Abgeordnete es eigentlich allen Recht machen: Der Forst- und Minenindustrie der Region ebenso wie den Ureinwohnern, die gegen die Ausbeutung ihrer Wälder protestieren und dabei auch mal den Verkehr auf der Hauptverkehrstraße blockieren, seiner Frau (Suzanne Clément, MOMMY), die als Unternehmerin in der Ehe klar die Hosen anhat, ebenso wie seiner Tochter, die vor ihrem Vater zunehmend in Rauschmittel und am liebsten auf ein Auslandssemester nach Dänemark fliehen würde. Man könnte auch sagen, dass Guibord eigentlich versucht, gar keine Entscheidung zu treffen. Er ist ein volksnaher Politiker und dafür, dass sein Wahlkreis so riesig ist, kennt er die Wortführer aller Gruppen und die örtliche Journalistin beim Vornamen, kommt gut mit ihnen aus und möchte es sich mit niemandem verscherzen.

Dass das nicht geht, sagt schon der übersetzte Originaltitel „Guibord zieht in den Krieg“. Eine Abstimmung über einen kanadischen Militäreinsatz in Fernost steht an und Guibords Stimme ist plötzlich die entscheidende. Was also tun, wenn man sich vor Entscheidungen drückt und die verschiedenen Gruppen in Region und Familie den Abgeordneten von allen Seiten unter Beschuss nehmen, um ihn in ihre Richtung zu beeinflussen?

Philippe Falardeaus Film MONSIEUR LAZHAR behandelte Themen wie Selbstmord und Krieg und war bei den Oscars 2011 für den besten fremdsprachigen Film nominiert. MEIN PRAKTIKUM IN KANADA erzählt zwar auch von ernsten Themen, behandelt diese aber wahrscheinlich mit zu leichter Hand für einen Oscarkandidaten. Wer eine tiefgründige moralische Abhandlung über Kriegseinsätze erwartet, wird enttäuscht werden. Diese Leichtigkeit zeichnet den Film aber gerade aus. Der Zuschauer blickt mit den Augen des idealistischen Souverain auf das absurde Geschehen, und gerade bei ihm befürchtet man schnell, er könnte zur Karikatur werden. Wenn er seiner Familie per Skype daheim die kanadische Politik erklärt und dabei seine Zuhörerschar mit jedem Anruf wächst, bis Haiti sich als politische Entscheidungsstätte sieht, dann ist das sicherlich etwas albern, wie auch, dass die politische Krise eigentlich erst durch eine Brustvergrößerung ausgelöst wird.

Der Film gibt seine Handlung und Charaktere aber nie vollends dem Klamauk preis. Er erzählt seine Geschichte über runde und vielschichtige Individuen. Alle verfolgen ihre eigene Agenda und schrecken auch nicht vor etwas Lug, Trug und Intrige zurück. Aber übel nehmen kann man es ihnen nicht. Bemerkenswert ist auch, dass Falardeau fast vollständig auf die für Politikfilme typischen Sitzungssäle verzichtet und KANADA als Road Movie erzählt. Was diskutiert werden muss, wird im Auto besprochen oder abends im Hotel oder auch ganz direkt an einer Straßensperre erboster Trucker. Das ist die konsequente Umsetzung der direkten Demokratie, der Guibord seine Entscheidung überlassen will.

„Dies ist eine wahre Geschichte, die noch nicht geschehen ist.“, heißt es ganz zu Anfang. Wenn sich kommende politische Konflikte so einfach und unterhaltsam lösen lassen, müssen wir uns keine Sorgen mehr machen.

Christian Klose

Details

Originaltitel: Guibord s’en va-t-en guerre
Kanada 2015, 108 min
Genre: Komödie
Regie: Philippe Falardeau
Drehbuch: Philippe Falardeau
Kamera: Ronald Plante
Schnitt: Richard Comeau
Musik: Martin Léon
Verleih: Arsenal Filmverleih
Darsteller: Suzanne Clément, Patrick Huard, Irdens Exantus, Ellen David, Sam Chamas, Mardy Men
FSK: oA
Kinostart: 26.05.2016

Website
IMDB

Vorführungen

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