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Megalopolis

Sensibler Mussolini mit Issues

MEGALOPOLIS ist eine vollkommen frei drehende, halb wahnsinnige Kino-Version der Welt, die alles in sich aufnehmen will: Marcus Aurelius, Shakespeare, Art Deco und Expressionismus, Gothic und TikTok.

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Das MEGALOPOLIS an den Kinokassen mit hoher Wahrscheinlichkeit untergehen wird wie eine bleierne Ente, scheint praktisch allen Beteiligten klar. Das heißt nicht, dass Francis Ford Coppolas Herzensprojekt nicht sehenswert wäre, denn das ist der Film auf jeden Fall. Es gibt grandios halluzinatorische filmische Momente, und der Film platzt vor Ideen aus den Nähten. Aber trotz der Laufzeit von 135 Minuten wirkt er eher zu kurz als zu lang. Vieles bleibt Skizze, hinter der sich verworfene Elemente erahnen lassen.

MEGALOPOLIS hat mehr mit dem postdramatischen Diskurstheater gemein als mit einer klassischen Filmdramaturgie. Der Film ist Coppolas Vision des Untergangs (oder der Errettung) des amerikanischen Imperiums, sehr frei angelehnt an eine der größten inneren Krisen des römischen Reichs, die Catilina-Verschwörung, in der sich der populäre General Catilina und der Senator Cicero gegenüberstanden. In einer Haushaltkrise Roms hatte der Senat die Steuern für die Plebejer erhöht. In den Provinzen regte sich Unmut, und Catilina hatte die Unzufrieden um sich geschart und eine Armee um sich versammelt, die plante, den Senat zu stürzen, unterschätzte aber die Macht des Senats.

Coppola übernimmt die Namen der Protagonisten, und Cicero (Giancarlo Esposito) trägt den Anfang von einer der berühmten „Reden gegen Catilina“ vor. Adam Driver als Catilina ist ein seltsames Genie, das den Wunderstoff „Megalon“ erfunden hat, der so ziemlich alles kann, auch Tote zum Leben erwecken. Er plant, daraus die Stadt der Zukunft zu errichten: Megalopolis. Diese Vision erinnert ein wenig an den Museumspark, den Richard Serra in den neunziger Jahren gegenüber des Dresdner Zwingers bauen wollte: wilde quasi-organische Formen, die sich nicht im Geringsten für die Funktion oder die Menschen interessieren.

Catilinas Onkel Crassus ist der reichste Mann des Reichs und ist im Begriff, die Journalistin/Influencerin Wow Platinum zu heiraten, mit der Catilina ebenfalls ein Techtelmechtel hatte. Derzeit ist der aber eher an der Julia, der Tochter seines Gegenspielers Bürgermeister Cicero interessiert. Dessen missratener Sohn Clodio versucht ebenfalls, eine Rolle zu spielen, inszeniert sich als Mann des Volkes und spinnt Intrigen. Außer Catilina, dem Mann mit der Vision, geht es allen vor allem um Macht.

Coppola teilt Seitenhiebe gegen die Verbindung von Politik und Popkultur aus. Es gibt einen Skandal um Vesta, Pop-Idol und jungfräuliche Vestalin, die zunächst für Cicero ihren Hit „Purity“ zur Ukulele trällert, bevor Clodio ihr einen Sexskandal anhängt, und sie zum gefallenen Bad Girl á la Britney Spears/Miley Cyrus wird. Im Kolosseum finden Wagenrennen, Wrestlings-Shows und Popkonzerte statt, alles zum Lob des Senats. Coppola scheint sich gelegentlich auf Catilinas Seite zu schlagen, der zwar auch ein Lump ist, aber einer mit einer Perspektive, eine Art ästhetischer Faschist, ein sensibler Mussolini mit Issues. Aber Catilina handelt der Bevölkerung gegenüber brutal: Wo eine Vision entstehen soll, wird gesprengt und vertrieben. Cicero ist der verkommene konservative Lump des „Weiter so“, der von Infrastruktur faselt und Casinos baut. Clodio und Wow Platinum sind vor allem machtgierige, hedonistische Lumpen.

MEGALOPOLIS ist weniger „Eine Fabel“, wie Coppola seinen Film untertitelte, als eine satirische Untergangsvision. Ob es zur Versöhnung oder zum Massaker kommt, ist dem Film fast schon egal. Es geht weiter so: Brot und Spiele, repräsentative Statuen, repräsentative Bauten, die ein paar Jahre später so faulig riechen werden, wie die Renzo Pianos Zierteiche am Potsdamer Platz.

MEGALOPOLIS ist eine vollkommen frei drehende, halb wahnsinnige Kino-Version der Welt, die alles in sich aufnehmen will: Marcus Aurelius, Shakespeare, Art Deco und Expressionismus, Gothic und TikTok. Heraus kommt dabei sicher nicht Coppolas bester Film, auch nichts, was man sich mal eben ansehen kann, und was sich locker mit dem Köpfchen wegnicken lässt. Coppolas Film kennt nur die große Geste, und scheint sie zugleich zu verachten. Größeren Wahnsinn gab es selten im Kino zu sehen. Als Phänomen und Symptom ist MEGALOPOLIS unglaublich.

Tom Dorow

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Megalopolis

USA 2024 | Drama, Science Fiction | R: Francis Ford Coppola

MEGALOPOLIS ist eine vollkommen frei drehende, halb wahnsinnige Kino-Version der Welt, die alles in sich aufnehmen will: Marcus Aurelius, Shakespeare, Art Deco und Expressionismus, Gothic und TikTok.

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