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Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm

Komplex und wild genug

MACKIE MESSER ist nicht nur eine Verfilmung der Dreigroschenoper, sondern eine Demonstration von Brechts Theater- und Filmtheorie, eine Erzählung über die Produktionsgeschichte der Filmversion von 1931 und Brechts Urheberklage und eine Rekonstruktion von Brechts Vision des Films.

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Das ist schon ein ziemlich fetter Klopper, den sich Joachim A. Lang, Professor an der Film-Akademie Baden-Württemberg und Brecht-Spezialist, da vorgenommen hat. Sein MACKIE MESSER soll nicht nur eine Verfilmung der Dreigroschenoper sein, sondern eine Demonstration von Brechts Theater- und Filmtheorie, eine Erzählung über die Produktionsgeschichte von G.W. Pabsts ungeliebter Filmversion des Stoffes von 1931 und Brechts Urheberklage gegen die Nero-Film AG, sowie eine Rekonstruktion von Brechts Vision des Films, die Lang aus dem im Exil entstandenen „Dreigroschenroman“ und Brechts Exposé für den Dreigroschenfilm, „Die Beule“ entwickelt hat. Außerdem soll die ganze Schose natürlich jung und wild sein. Erstaunlicherweise klappt das alles ziemlich gut.

Das liegt natürlich auch daran, dass die besten Popsongs der deutschen Musikgeschichte nahezu jeden Film rausreißen würde, aber Langs Ideen - etwa Brecht (Lars Eidinger) ausschließlich in Brecht-Zitaten sprechen zu lassen, die Kulissen stets als Kulissen erscheinen zu lassen, die Schauspieler direkt in die Kamera sprechen zu lassen und die Ebenen der Erzählung immer wieder zu brechen und durcheinander zu wirbeln – funktionieren tatsächlich, und bringen eine Art HELLZAPPOPPIN/Marx Brothers-Witz in den Film, der sich auch als Demonstration des Brecht’schen Verfremdungseffekts lesen lassen kann. Tobias Moretti als Macheath/Rudolf Forster ist mit allergrößtem Enthusiasmus bei der Sache, beweist sich einmal mehr als größter Schleimbolzen-Darsteller des deutschsprachigen Films und empfiehlt sich für diverse Auszeichnungen. Er singt und tanzt, als hätte er sich Rabaukentum intravenös verabreicht. Christian Redl spielt Tiger Brown in der Version von Kurt Gerron, der im Theater am Schiffbauerdamm die Rolle spielte, im Pabst-Film aber durch Reinhold Schünzel ersetzt wurde. Moretti und Redl sind ideale Partner. Ihnen gelingt eine so energiegeladene, groteske und selbstreflektierte Version des Kanonensongs, dass vermutlich auch Brecht davor in die Knie gesunken wäre.

Lars Eidinger gibt den Brecht mit süffisant-triumphalen Grinsen, als eine Mischung aus dem Punk-Rock-Chefideologen Malcolm McLaren und einem Polit-Kunst-Börsenmakler, stets gefolgt von einem Einverständnis heischenden Augenzwinkern. Joachim Król als Peachum wirkt hinreichend gerissen, weltmüde. Seine Einführung eines einbeinigen Adepten ins Bettlergeschäft wirkt hier wie eine Analyse der filmischen Verführungs- und Einfühlungstechniken. Der Rest des mit populären Schauspielern besetzten Films ist nicht ganz so gut in Form, und vielleicht auch damit überfordert, zugleich andere Schauspieler und deren mögliche oder tatsächliche Interpretation einer Rolle zu spielen. Hannah Herzsprung als Polly/Carola Neher, Britta Hammelstein als Jenny/Lotte Lenya und Max Raabe als Moritatensänger sind ganz niedlich, sind aber nicht gefährlich genug, um gegenüber den Originalen zu bestehen.

Ob Brechts für den Film geplantes Ende – die Gangster werden Banker – heute wirklich noch so gesellschaftskritisch ist, wie Lang das glaubt, ist allerdings fraglich. Das Finanzwesen als Grundlage allen Übels ist heute eine Binsenweisheit, die quer durch die politischen Couleurs, bis hin zu antisemitischen Verschwörungstheoretiker*innen gehegt wird. Mit Kapitalismuskritik hat das weniger zu tun als mit Ressentiments.

Tom Dorow

Details

Deutschland 2018, 130 min
Genre: Drama
Regie: Joachim Lang
Drehbuch: Joachim Lang
Kamera: David Slama
Schnitt: Alexander Dittner
Musik: HK Gruber
Verleih: Wild Bunch/Central
Darsteller: Lars Eidinger, Hannah Herzsprung, Robert Stadlober, Joachim Król, Tobias Moretti
FSK: 6
Kinostart: 13.09.2018

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IMDB

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