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Loyal Friend

Hymne an einen Hund

Eine trauernde Autorin mit Schreibkrise und eine trauernde dänische Dogge kommen sich allmählich näher.

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LOYAL FRIEND ist ein seltsamer Film. Am seltsamsten ist, dass Scott McGeehee und David Siegel, die durchaus Erfahrung mit dem Fantastischen haben, den Film nicht seltsamer inszeniert haben. Ihre Verfilmung des in den USA mit dem National Book Award for Fiction ausgezeichneten Romans „The Friend“ von Sigrid Nunez, die auch die Vorlage zu Pedro Almodóvars THE ROOM NEXT DOOR schrieb, macht die Literarizität zu einem zentralen Motiv. Die Schriftstellerin Iris (Naomi Watts) ist in der Schreibkrise. Ihr Freund, Ex-Lehrer und Ex-Lover Walter (Bill Murray) hatte sie gebeten, seine Korrespondenz zu editieren, gemeinsam mit seiner Tochter. Die Arbeit geht schlecht voran, und an ihren eigenen Texten arbeitet Iris gar nicht mehr. Dann nimmt Walter sich das Leben, und keine seiner zahlreichen (Ex-)Frauen will dessen riesige Dogge „Apollo“ aufnehmen. Apollo landet bei Iris, obwohl die eigentlich keine Tiere in ihrem kleinen Apartment halten darf.
Die trauernde Frau und der trauernde Hund kommen sich allmählich näher, diese Annäherung löst die Schreibkrise, und Iris schreibt die Geschichte, die der Film erzählt. Während der Hauptstrang der Erzählung die praktischen Schwierigkeiten erzählt, denen Iris mit der Haltung einer alten, traurigen Dogge begegnet, verarbeitet die Erzählerin Iris ihre Erlebnisse zu einem Text, der wiederum in Beziehung zu Walters Texten, den Arbeiten der Studierenden in dem „Creative Writing“-Studiengang, den Iris nebenher leitet, und zu zahlreichen anderen literarischen Beispielen steht. Über allem steht die Frage nach dem Verhältnis von Erlebnis und Dichtung.

Dem Lesen von Literatur misst LOYAL FRIEND geringen Wert zu. Als bei der Beerdigungszeremonie für Walter jemand ein Gedicht (von Thomas Hardy?) vorträgt, wird es gleich wieder ausgeblendet, Iris wendet sich ab. Nicht das Lesen oder die Trostfunktion der Kunst scheint wichtig – das ist etwas für ihre pompösen Bekannten aus der New Yorker Kunstszene – sondern das Schreiben. Iris gibt auch die editorische Arbeit an Walters Texten auf, weil ihr eigenes Schreiben wichtiger ist. Da hinein spielt auch ihr Zorn auf Walter, der in einer traumartigen Szene kulminiert, in der der tote Walter ihr wieder erscheint und auf ihre Vorwürfe reagiert, er habe mit seiner Entscheidung Menschen verletzt, vor allem Iris, und er habe mit der Bitte, seine Briefe zu editieren, ihr eigenes Schreiben behindern wollen.
Alles dreht sich um Iris‘ eigenes Erleben, Iris‘ Perspektive, von Loyalität keine Spur. Als sie die Dogge „lieben“ gelernt hat, wirft sie dem Kosmos vor, sie um Apollos Jugend betrogen zu haben. Sie hätte den Hund so gern als Hundebaby und in seiner besten Zeit erlebt. Die Liebe zum Hund und die Liebe zu Walter überschneiden sich und werden zum Mangel, der die Dichtung erweckt, wie die tote Sophie in Novalis‘ „Hymnen an die Nacht“. Dazu muss Apollos Jugend aber erst als ein Mangel positioniert werden. Geschrieben wird über Abwesenheit und Verlust, nicht über Gegenwärtiges.

Als Thema für einen knapp zweistündigen Film, der über weite Strecken dem konventionellen psychologischen Hollywood-Drama-Stil folgt, auch wenn einzelne Szenen und die leitende Erzählstimme immer wieder aus diesem Gerüst ausbrechen, ist das kaum zu bewältigen. Iris‘ Geschichte wirkt wie ein narzisstischer Therapieversuch. Vielleicht liegt das weniger an der Romanvorlage – obwohl die Texte, die Naomi Watts als Erzählerin aus dem Off einspricht, gegenüber den eingeflochtenen Zitaten literarisch erheblich abfallen – als am filmischen Stil. Film ist, bei all seiner Geisterhaftigkeit, eine Kunst der Präsenzen, nicht der Abwesenheiten. Der klassische narrative Stil versucht, die Geisterhaftigkeit des Films, das Paradox, dass der Film Vergangenes als Gegenwärtiges zeigt, zu verschleiern. LOYAL FRIEND will das Beste aus beiden Welten, die Abwesenheitskunst der Literatur im Modus der filmischen Präsenz, ein Film über Trauer und Literatur im Modus der romantischen Film-Komödie.

Das könnte funktionieren, weil die riesige Dogge eine schon exzessive Präsenz besitzt, eine Art körperlich gewordener „Elefant im Raum“. Dann aber zwischendurch auch den toten Walter auftreten zu lassen, erscheint als ein Stilbruch, der nur dazu dient, Iris‘ Worte zu visualisieren. Die Literatur kann so ein Gespräch imaginieren, im Film bräuchte es dazu mindestens einen der „Red Rooms“ aus David Lynchs „Twin Peaks“. Abwesenheiten begegnet man nur auf einer Reise in die Unterwelt. Dazu ist LOYAL FRIEND zu brav, obwohl Naomi Watts (MULLHOLLAND DRIVE) ja durchaus Hades-erfahren ist. Vielleicht liege ich aber völlig falsch und LOYAL FRIEND ist eine weitere Drehung der Schraube, die bereits Auteurs wie Olivier Assayas (PERSONAL SHOPPER) oder MichaëL Hers (LES PASSAGERS DE LA NUIT) angezogen haben: Filme, die Geister und Jenseitiges in harmlos erscheinende traditionelle Erzählungen einschleichen lassen. In jedem Fall hat LOYAL FRIEND bewusst einen erheblichen Knacks.

Tom Dorow

Details

Originaltitel: The Friend
USA 2024, 120 min
Genre: Drama
Regie: Scott McGehee, David Siegel
Drehbuch: Scott McGehee, David Siegel
Kamera: Giles Nuttgens
Schnitt: Isaac Hagy
Musik: Trevor Gureckis, Jay Wadley
Verleih: Universal Pictures
Darsteller: Naomi Watts, Constance Wu, Bill Murray, Ann Dowd, Carla Gugino, Owen Teague
FSK: 6
Kinostart: 19.06.2025

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Loyal Friend

(The Friend) | USA 2024 | Drama | R: Scott McGehee, David Siegel | FSK: 6

Eine trauernde Autorin mit Schreibkrise und eine trauernde dänische Dogge kommen sich allmählich näher.

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