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Kontinental '25

Trauma Kapitalismus

Seit sie für die Haifisch-Immobiliengesellschaft „Europa K. und K.“ die Räumung eines alten Eckhauses durchgesetzt hat und sich der Müllsammler aus dem Souterrain hat, ist Gerichtsvollzieherin Orsoyala von der Spur.

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„Je unschuldiger sie sind, desto mehr verdienen sie es zu sterben“, das sagt Gerichtsvollzieherin Orsoyala zu ihrer Freundin im siebenbürgisches Cluj/Kolozsvár/Klausenberg, soll Berthold Brecht gesagt haben, als jemand beklagte, dass Unschuldige Opfer der stalinistischen Säuberungen wurden. Es ist nur eins von vielen Zitaten, die durch Radu Judes schnell gedrehte, gesprächige Satire geistern, und alle bezieht Orsoyala auf sich. Seit sie für die Haifisch-Immobiliengesellschaft „Europa K. und K.“ die Räumung eines alten Eckhauses durchgesetzt hat und sich der Müllsammler aus dem Souterrain noch während der Räumung umgebracht hat, ist sie von der Spur. Anders als bei Ingrid Bergman in Roberto Rossellinis EUROPA 51 führen die Gewissensbisse aber nicht zum Handeln, sondern zu einer Art improvisierter Traumagesprächstherapie. Wieder und wieder erzählt Orsoyala allen, die sie trifft, die besonders grausamen Umstände der Tat, und wie in den kleinen Zen-Anekdoten, die ein ehemaliger Student von ihr an einem Kneipenabend ohne Punkt und Komma von sich gibt, erhofft sie sich Antworten und bekommt nur Nonsense zu hören. Die Mutter stürzt sich in eine Tirade über die rumänischen „Bauern“, der Priester schilt ihre Selbstzweifel als hochmütig, und die Freundin erzählt ausführlich von ihren eigenen Problemen mit einem Obdachlosen, der im Hof haust und im Winter zum Glück weniger stinkt, bevor beide aufzählen, für welche NGOs sie spenden. Während die Kamera in Stadtansichten eine Geschichte von globalem Kapitalismus, Rassismus und Gentrifizierung erzählt, veranstaltet Orsoyala einen Sturm im Wasserglas, dabei ist sie eigenglich eine der „Guten“ – sie hat tatsächlich versucht, den Mann in einem Heim unterzubringen und „im Winter macht sie keine Räumungen“.

Hendrike Bake

Details

Rumänien 2025, 109 min
Sprache: Rumänisch, Ungarisch, Deutsch
Genre: Drama
Regie: Radu Jude
Drehbuch: Radu Jude
Kamera: Marius Panduru
Schnitt: Cătălin Cristutiu
Verleih: Grandfilm
Darsteller: Eszter Tompa, Gabriel Spahiu, Adonis Tanța, Oana Mardare, Serban Pavlu
FSK: 16
Kinostart: 09.10.2025

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