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Jacky im Königreich der Frauen

Gender Trouble für Aschenputtel

Eigentlich läuft in der Volksrepublik Bubunne alles so wie in anderen totalitären Regimen – bis auf einen kleinen Unterschied: die Geschlechterrollen sind vertauscht. Das Land wird von einer weiblichen Diktatoren-Dynastie regiert, die Männer dagegen müssen ihre Körper verhüllen und dürfen keiner Arbeit jenseits der Haushaltsführung nachgehen.

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Eigentlich läuft in der Volksrepublik Bubunne alles so wie in anderen totalitären Regimen – bis auf einen kleinen Unterschied: die Geschlechterrollen sind vertauscht. Aufgrund des Sündenfalls der Männer in einer weit zurückliegenden Epoche, nämlich mangelnde Selbstbeherrschung während einer Hungersnot, wird das Land von einer weiblichen Diktatoren-Dynastie regiert und Männer sind so unterdrückt wie sonst die Frauen. Sie müssen ihre Körper verhüllen und dürfen keiner Arbeit jenseits der Haushaltsführung nachgehen.
Davon recht unbekümmert richtet der Jungmann Jacky all sein Begehren auf die Thronfolgerin (Charlotte Gainsbourg als enigmatische „Colonelle“), deren Verehelichung offiziell angestrebt wird. Es ist jedoch nicht einfach, eine Eintrittskarte für die Bräutigamschau zu erstehen, und so kämpft Jacky bald in bester Aschenputteltradition um die Möglichkeit, am entscheidenden Ball teilzunehmen. Dass er dabei unabsichtlich seinen revolutionären Onkel ans Messer der staatlichen Häscherinnen liefert, kann ihn ebensowenig aufhalten wie missgünstige Mitbewerber und die sexuellen Avancen diverser Verehrerinnen.
Regisseur Riad Sattouf, der syrische Wurzeln hat und regelmäßig für das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ arbeitet, setzt seine Figur des naiven, angepassten, aber leidenschaftlich Verliebten in eine bizarre Welt. So gibt es in dieser absolutistischen Monarchie mit sozialistischen Ideologieanlehnungen und islamisch inspirierter Geschlechterordnung einen Schwarzmarkt für frisches Gemüse, denn der Verzehr von Pflanzen ist verboten, man will ja den heiligen Pferdchen nicht schon wieder das Futter wegessen. Die Menschen ernähren sich stattdessen von weißem Schleim vorläufig ungeklärten Ursprungs, der aus riesigen Hähnen direkt in ihre Küchen fließt. Obwohl der Lebensstandard des einfachen Volkes nicht sehr entwickelt zu sein scheint, sind Fernsehbildschirme allgegenwärtig. Gespannt erwartet man jede neue Volte des in Georgien gedrehten Films und versucht, die kulturellen Phänomene zuzuordnen. War das gerade Nordkorea? China? Irgendwie der Ostblock? Eine Szene im Iran? Oder aus dem feministischen Roman „Die Töchter Egalias“ von 1979?
Die bei diesem verspielten Erzählen eingesetzten Klischees lassen zwar die Kritik an real existierenden Machtverhältnissen etwas zu kurz fallen, aber erhöhen den Spaßfaktor fürs Publikum erheblich. Beim Lachen und Staunen wird die Frage irrelevant, ob die Satire dergestalt ungerecht und übertrieben sein darf. Laut Kurt Tucholsky muss sie es sogar.
Deswegen sei auch über Holprigkeiten wie die unterschiedliche Genauigkeit der Rollenzeichnung hinweggegangen. Die ungelenk herumstapfenden jungen Männer sehen nicht so aus, als ob sie in ihren „Schleiereien“ genannten Kleidungsstücken aufgewachsen wären, sie wirken eher wie frisch kostümiert einem Monty-Pythons-Werk entsprungen. Hier tritt das Unechte des Komödiantischen deutlich zutage, während die dominanten Frauen, der Notwendigkeit des Attraktivseins enthoben, mit ihrem grummeligen Militärgebaren verblüffend „natürlich“ dargestellt werden. Der Habitus der Unterdrückten wird karikiert, die Überheblichkeit der Herrschenden hingegen der selbstentlarvenden Spiegelung überlassen.
Mögen manche der verteilten Spitzen der eigenen Geschlechtszugehörigkeit des Autors geschuldet sein: zum Abschluss gelingt ihm noch ein wunderbarer, befreiender Gendertwist, der über alles Trennende hinauszielt. Das unterdrückte Volk ist allerdings noch nicht so weit und reagiert ganz humorlos mit Rufen von „Ach du heiliges Pferdchen! Blasphemerie!“

Anna Stemmler

Details

Originaltitel: Jacky au royaume des filles
Frankreich 2013, 94 min
Genre: Komödie
Regie: Riad Sattouf
Drehbuch: Riad Sattouf
Kamera: Josee Deshaies
Schnitt: Virginie Bruant
Verleih: Pandastorm
Darsteller: Charlotte Gainsbourg, Emmanuelle Devos, Noémie Lvovsky, Vincent Lacoste, Didier Bourdon, Michel Hazanavicius, Ida Fevrier
FSK: 12
Kinostart: 19.02.2015

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