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High Life (2019)

Obsessionen im All

In Claire Denis‘ Science Fiction Film rast ein Gefängnis-Raumschiff auf ein schwarzes Loch zu. An Bord führt Juliette Binoche als Dr. Dibs Fortpflanzungsexperimente durch und lebt ihr Begehren in einer „Fuckbox“ aus, während Monte (Robert Pattinson) keusch bleibt.

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Liebe am Ereignishorizont, Todessehnsucht, Masturbation, Voyeurismus, Fickmaschinen, Vergewaltigungen, Gefängnisse, Todesstrafe, Kinderkriegen oder nicht, Begehren, Keuschheit, Inzest, Zoten, Körperflüssigkeiten, Tabu, Schuld. In der Mitte ein schwarzes Loch. HIGH LIFE von Claire Denis ist ein komplett durchkomponierter Film, der dennoch wirkt, als habe Denis einen ordentlichen Haufen Obsessionen genommen und an die Wand geworfen.

Ein Garten im kalten künstlichen Licht, Wassertropfen auf Blättern, der Schrei eines Babys liegt über den Bassklarinetten und Drone-Sounds von Stuart A. Staples (Tindersticks) hypnotisch-träumerischem Soundtrack. Das Kind, Willow, sitzt in einem flüchtig zusammengebastelten Laufstall, ihr Vater Monte (Robert Pattinson) arbeitet an der Außenseite des Raumschiffs, auf dem sich beide befinden. Als er eine Schraube fallen lässt, erinnert er sich an eine Szene seiner „Ursünde“, des Mordes, der ihn auf dieses Schiff gebracht hat. Danach lässt er die cryogen konservierten Leichen der anderen Crewmitglieder ins All fallen. Über den in endloser Schwärze treibenden Körpern erscheint der Titel von Claire Denis' Film: HIGH LIFE. Das Bild zeigt das Gegenteil, aber ist das ein makabrer Witz oder ein ernst gemeintes Bild vollkommener Verlorenheit? Vielleicht auch beides.

Monte und Willow sind die letzten Überlebenden einer moribunden Mission. Monte erzählt – oder monologisiert – seiner Tochter, wie es dazu gekommen ist. Alle Beteiligten waren zum Tode verurteilt und sie wurden vor die Wahl gestellt, statt der Hinrichtung „der Wissenschaft zu dienen“. Ihr Raumschiff fliegt auf ein Schwarzes Loch zu, das sie irgendwann verschlingen wird. Rückkehr zur Erde ist ausgeschlossen. Sie sind lebende Tote, die zudem an der Strahlung dahin siechen. Nur Fragmente von TV-Übertragungen erreichen die Mannschaft noch, wie Erinnerungen an ein lange zurückliegendes Leben. Während der Reise macht Dr. Dibs (Juliette Binoche) Experimente zur Fortpflanzung im All. Dazu zapft sie den Männern Sperma ab, für jede Ejakulation erhalten sie Drogen als Belohnung. Es gibt keine Beziehungen und keine Liebe an Bord, mindestens keine gegenseitige. Dafür dreht sich alles um Körperflüssigkeiten und einsame sinnliche Erfahrung. Urin und Kot werden zu Trinkwasser recycelt. Sex findet allein in einer „Fuckbox“ statt, die nach dem Akt über einen Abfluss milchige Flüssigkeit ausscheidet. Nur Monte bleibt keusch und wird dafür von den anderen Crewmitgliedern als „Mönch“ verspottet. Juliette Binoches einsamer, ekstatischer Ritt auf einer Stahldildo-Maschine ist einer der erotischen Höhepunkte.

Die elegischen Sounds behaupten das Gegenteil, aber HIGH LIFE hat viele komische, manchmal auch zotige Momente. Mit der Geburt von Willow, dem Meisterwerk von Dr. Dibs, mit dem sie offenbar auch ihr eigenes Verbrechen sühnen will, ändert sich die Stimmung. Der „Mönch“ Monte zeigt Zärtlichkeit und Verantwortung, aber über der Beziehung zwischen Vater und Tochter hängt das Menetekel des Tabus, das erste Wort, das Monte seiner Tochter beibringt. Die klassische, christliche Hollywood-Erlösung sieht anders aus, aber vielleicht ist ein Moment der Berührung alles, was bleibt.

Tom Dorow

Details

Originaltitel: High Life
Großbritannien/ Frankreich/ Deutschland 2018, 110 min
Sprache: Englisch
Genre: Abenteuer, Science Fiction, Horror
Regie: Claire Denis
Drehbuch: Claire Denis, Jean-Pol Fargeau, Nick Laird, Zadie Smith
Kamera: Yorick Le Saux
Schnitt: Guy Lecorne, Nelly Quettier
Musik: Stuart Staples, Tindersticks
Verleih: Pandora Film
Darsteller: Robert Pattinson, Juliette Binoche, Mia Goth, André Benjamin
FSK: 16
Kinostart: 30.05.2019

Website
IMDB

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