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Hereditary

Cineastische Achterbahn

Großmutter ist mehr oder weniger tot, Mutter Annie als Künstlerin baut bizarre Miniaturen, Tochter Charlie köpft tote Tauben, Teenager-Sohn Peter kifft vor sich hin, bis aus einer Familientragödie ein immer weiter eskalierender Apltraum wird. Origineller, sehr effektiver Horror.

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HEREDITARY ist einer der aufregendsten und unheimlichsten Filme der neuen Horrorfilm-Welle, kein existentialistischer Post-Horror, und erst recht kein Retro-Kram, sondern eine sehr originelle cineastische Achterbahn, die alle filmischen Möglichkeiten nutzt, und der es sogar gelingt, aus einem harmlosen Zungenschnalzen einen „jump scare“ zu machen. Der Film rührt dabei durchaus an Urängste, aber großanlegte philosophische oder psychoanalytische Exkurse muss hier niemand fürchten. Alles beginnt mit einer Kamerafahrt auf ein Puppenhaus, das aber viel zu sorgfältig gearbeitet ist, um ein Spielzeug zu sein. Als ein Zimmer, in dem jemand unter einer Bettdecke liegt, ganz das Bild füllt, öffnet sich die Tür. Der Vater tritt ein: Sein Sohn soll langsam mal in die Puschen kommen, Großmutter wird beerdigt. Perspektivverschiebungen, Wiederholungen, Spiegelungen erzeugen den Effekt eines dauernden „mise en abyme“, als würde hinter dem Bild stets ein anderes darauf warten, das stets im Begriff ist, die Realität auszulöschen. Niemand liebte Großmutter, aber sie scheint nicht wirklich fort zu sein. Auf die lapidar hingenommene erste Familientragödie türmt sich eine weitere, und bald wird alles immer schlimmer, bis auch Mutter Annie, die als Künstlerin traumatische Momente in Miniaturmodelle zu bannen versucht, mit ihren Bewältigungsstrategien am Ende ist. Ständig verschiebt sich nicht nur der Fokus der Kamera, sondern auch der Erzählung. Mal scheint Annie im Zentrum der Geschichte zu stehen, mal ihre geistig behinderte Tochter Charlie, mal deren bekiffter älterer Bruder Peter. Alptraum und Realität vermischen sich in einer unaufhaltsamen Eskalation. Dass die Auflösung gerade darauf verzichtet, die beliebte psychologische Lösung zu suchen, ist ein cleverer Kniff, der einen trotz des unglaublich effektiven Horrors mehr beschwingt als verstört aus dem Kino kommen lässt.

Tom Dorow

Details

USA 2018, 127 min
Genre: Horror
Regie: Ari Aster
Drehbuch: Ari Aster
Kamera: Pawel Pogorzelski
Schnitt: Jennifer Lame, Lucian Johnston
Musik: Colin Stetson
Verleih: Splendid
Darsteller: Toni Collette, Gabriel Byrne, Alex Wolff, Ann Dowd
FSK: 16
Kinostart: 14.06.2018

Website
IMDB

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