Neue Notiz
Green Border
Im polnisch-weißrussischen Niemandsland
Anhand eines Dutzend Menschen erzählt Agnieszka Holland von der 2021 von Belarus gesteuerte und von der polnischen Regierung mit ganzer Härte erwiderte Flüchtlingspolitik, einer Politik, die Menschen als Waffen einsetzt.
Dieser Film ist wichtig, er tut weh. Denn Agnieszka Holland konfrontiert uns mit dem schreienden Unrecht (auch dem Dilemma), das sich hinter dem Begriff „Pushback“ verbirgt, vor dem wir uns nicht wegducken können, trösten in der Gewissheit: Ist doch alles nur Kino. Ja, GREEN BORDER ist - trotz der zuweilen quasidokumentarischen Bildführung – Fiktion; ist große, berührende Erzählung. Und ist doch wahr. Es geht um die 2021 von Belarus gesteuerte und von der polnischen Regierung mit ganzer Härte erwiderte Flüchtlingspolitik, eine Politik, die Menschen als Waffen einsetzt und nicht einmal den Toten das Recht auf Ruhe gewährt. Im Mittelpunkt stehen, auf der Flucht vor der Verfolgung in der Heimat, eine syrische Familie sowie eine afghanische Frau, Leila (Behi Djanati Alai), die dem Terror der Taliban entkommen ist. Wir sehen sie, ein halbes Dutzend von Tausenden, die ihr Heil in der Flucht suchen, zunächst auf dem Flug nach Minsk. Müde sind sie, erschöpft, aber doch zuversichtlich, weil sie es schaffen werden ins gelobte Land. Sehr leise, sanft ist diese erste Szene, sparsam mit Musik unterlegt, wie überhaupt Musik nie als Mittel dramatischer Überwältigung benutzt wird. Friede also herrscht, denn diese Menschen wissen noch nicht, in welche Falle sie geraten sind.
Aber dann kommt es knüppeldick, im Wortsinn. Denn Pushback heißt erbarmungslose Abwehr von Menschen. Mit Schlagstock, Tränengas, Hunden, mit der Waffe werden sie im polnisch-weißrussischen Niemandsland über die Grenze getrieben, und wieder zurück, hin und her. Holland, dieser genau beobachtenden, abwägenden Regisseurin, gelingt dabei das Wunderbare, den gehetzten Menschen dennoch ihre Würde zu belassen; sie zeigt sie nicht nur als Opfer. Neben Bildern nackter Gewalt, von Chaos, Geschrei, Lärm setzt sie Augenblicke der Ruhe: das kleine Mädchen, das so unbeschwert spielt; den Großvater, wie er auf dem matschigen Waldboden seinen Gebetsteppich ausbreitet, der später Schutz bieten soll vor den niederprasselnden Regenströmen. Auch die Zuschauer erleichternde Momente der Hoffnung lässt sie zu, wenn drei jugendliche Flüchtlinge mit den Kindern ihrer polnischen Helferfamilie drauflosrappen. Und sie lässt erahnen, dass die zotig auftrumpfende Männlichkeit der Grenzbeamten womöglich ein Versuch ist, die beunruhigenden Stimmen des Gewissens zum Schweigen zu bringen.
Den mit Bashir, mit Amina oder Leila im Sumpfwald Verlorenen und ihren Jägern diesseits und jenseits des Stacheldrahtverhaus setzt der Film eine Gruppe von Aktivisten und Aktivistinnen entgegen, die, immer knapp am Rande der Legalität, den Flüchtlingen mit Kleidung, mit Nahrung zu helfen versuchen – mehr dürfen sie nicht. Oder Julia, eine Psychotherapeutin, die durch die Begegnung mit dem Flüchtlingselend aus der eingeübten professionellen Distanz katapultiert wird, Kopf und Kragen zu riskieren bereit ist. Und schließlich Jan, den jungen Grenzsoldaten, werdenden Vater. „Du musst das doch nicht machen“, sagt seine Frau zu ihm.
Originaltitel: Zielona granica
Polen/ Frankreich/ Tschechische Republik/ Belgien 2023, 147 min
Genre: Drama
Regie: Agnieszka Holland
Drehbuch: Maciej Pisuk, Gabriela Łazarkiewicz-Sieczko, Agnieszka Holland
Kamera: Tomasz Naumiuk
Schnitt: Pavel Hrdlička
Musik: Frédéric Vercheval
Verleih: Piffl Medien
Darsteller: Jalal Altawil, Maja Ostaszewska, Behi Djanati Atai, Mohamad Al Rashi, Tomasz Włosok
Kinostart: 01.02.2024
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