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Gloria

Alleine Klarkommen

GLORIA (Julianne Moore), Mitte Fünfzig, seit zwölf Jahren geschieden mit zwei so gut wie erwachsenen Kindern, versucht der Einsamkeit, die sich in langsam immer tiefer in ihr Leben schleicht, die Stirn zu bieten.

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Sebastián Lelio erzählt im amerikanischen Remake seines eigenen Films GLORIA (Chile 2013) von einer Frau Mitte Fünfzig, seit zwölf Jahren geschieden mit zwei so gut wie erwachsenen Kindern, die der Einsamkeit, die sich langsam immer tiefer in ihr Leben schleicht, die Stirn zu bieten versucht. In den 1950er Jahren wäre die Geschichte als großes, buntes, herzzerreißend aussichtsloses Melodrama erzählt worden. Lelio dagegen entscheidet sich für Farben zwischen altrosa und Nachtbar und eine gedämpfte, alltäglichere Tonlage, irgendwo zwischen depressiver Verstimmung und absurder Komödie. Es ist nun nicht so, dass Gloria gar nicht klar kommen würde. Ihr Tag ist gefüllt mit Arbeit, Anrufen und Besuchen bei den Kindern, Gesprächen mit Freundinnen und Kolleginnen, und abends geht sie tanzen, wenn sie die Zeit dazu hat. Die Katze, die sich immer wieder in ihre Wohnung schleicht, wirft sie konsequent raus. Gloria ist entschlossen, keine „cat lady“ zu werden. Aber man merkt, dass die Depression unweit lauert und die Fassade nicht so einfach aufrecht zu erhalten ist. Als Gloria in der Disko Arnold kennenlernt, der ebenfalls geschieden ist, scheinen sich neue Türen zu öffnen. Aber schon bald beginnt sie zu ahnen, dass eine Beziehung mit Arnold möglichweise doch keine gute Idee ist.

Julianne Moore spielt Gloria selbstredend fantastisch. Die leichte aber andauernde Anspannung des Alleine-Klarkommens hat sich in ihren ganzen Körper eingeschrieben. Symptomatisch für Glorias Haltung dem Leben gegenüber ist die immer wiederkehrende Szene, in der sie mit dem Auto zur Arbeit fährt. Die Schultern leicht angehoben, die Hände fest am Steuer, fixiert sie mit kurzsichtigen Augen konzentriert die Straße und schmettert dabei unbeirrt und nicht ganz sauber große Hits der 70er und 80er. „Total Eclipse of the Heart”, “Love is in the Air”, “Never Can Say Goodbye”, “Alone Again (Naturally)”. Es ist nicht die erste Rolle, in der Moore die vom Alltag fast erdrückte, stets die Fassade wahrende (Haus)Frau spielt, die um ein inneres Leben kämpft. In Todd Haynes' SAFE (1995) war sie die hypersensible Carol White, die sich immer weiter in ein allergenfreies Nichts zurückzieht, bis sie in einem Iglu in der Wüste verschwindet. Im 50er-Jahre-Pastiche FAR FROM HEAVEN (2002), ebenfalls von Haynes, spielt sie die Hausfrau und Mutter Cathy Whitaker, deren Liebe zum Schwarzen Gärtner der Familie an den gesellschaftlichen Konventionen scheitert. In Stephen Daldrys THE HOURS (1995), der ebenfalls in den 1950ern spielt, verliebt sie sich als Hausfrau Laura Brown in ihre Nachbarin.

Moore spielte diese Frauen mit der Wucht eines Vulkans, der jederzeit ausbrechen kann. Gerade aus dem Gegensatz zwischen repressiver Gesellschaft und innerem Erleben – und sei es eine allumfassende Depression – schlugen Daldry, Haynes und Moore Funken. Bei Lelio ist die Fallhöhe geringer, die Reibungsfläche ist kleiner, die Konflikte sind undramatischer, und Moore dimmt ihre innere Exaltiertheit auf ein Minimum herunter. In der Gegenwart, so scheint es zumindest, hat eine Frau wie Gloria alle Möglichkeiten. Ein Neuanfang wäre jederzeit möglich, Verzweifeln unangemessen, ein Aufbegehren kaum möglich. Wogegen denn schon? Wer heute mit Fünfzig einsam ist, ist selbst schuld und Sich-Hängenlassen das schlimmste Vergehen, scheint das Mantra zu sein, das Gloria verinnerlicht hat. Statt unter der Oberfläche zu brennen, glimmt sie tapfer vor sich hin, bzw. tanzt und singt der Leere entgegen. Auch kleine Ausbrüche gönnt sie sich, aber sie fühlen sich so transgressiv an wie ein Sylvester-Tischfeuerwerk. Das Leben muss weiter gehen und wird weiter gehen. Der Film sieht das als optimistische Botschaft, ich bin mir da nicht so sicher.

Hendrike Bake

Details

Originaltitel: Gloria Bell
USA/Chile 2018, 102 min
Genre: Komödie, Drama, Romance
Regie: Sebastián Lelio
Drehbuch: Sebastián Lelio, Alice Johnson Boher
Kamera: Natasha Braier
Schnitt: Soledad Salfate
Musik: Matthew Herbert
Verleih: SquareOne
Darsteller: Julianne Moore, John Turturro, Sean Astin, Jeanne Tripplehorn, Barbara Sukowa, Michael Cera, Rita Wilson
FSK: oA
Kinostart: 22.08.2019

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IMDB

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