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Fritz Lang

Mehr als ein Bio-Pic

M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER ist Fritz Langs erster Tonfilm und vielleicht sein wichtigster Film überhaupt. FRITZ LANG imaginiert - in einer meisterhaften Montage aus Originaldokumenten und nachgedrehtem Material - eine Recherchereise, die Lang 1929 nach Düsseldorf unternimmt, um mehr über den Fall des Serienmörders Peter Kürten zu erfahren, und die ihn an eigene Abgründe führt.

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Es beginnt mit dem Pfiff. „Die Halle des Bergkönigs“ aus Edvard Griegs „Peer Gynt“, immer leicht schief gepfiffen, kündigt in M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER das Erscheinen des Mörders Hans Beckert (Peter Lorre) an. 1931 war die Idee, die Tonspur im Film nicht nur illustrativ einzusetzen, sondern den Schrecken im Bild vorher auf der Tonebene anzukündigen, ganz neu. Heute ist diese Technik in allen Filmgenres vom Drama bis zum Horrorfilm üblich, aber als Tarantino in KILL BILL: VOL.1 (2003) Fritz Langs Pfiff zitierte und mit seiner Mörderin One Eye aka Elle Driver (Daryl Hannah) verband, war der Effekt so atemberaubend wie 70 Jahre zuvor.

Mit M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER legte Fritz Lang den Grundstein des modernen Genrefilms. Kaum ein Horror-, Detektiv-, Gangster- oder Großstadtfilm lässt sich nicht in irgendeiner Weise auf M zurückführen, auf dessen Verbindung von realistischen und expressionistischen Elementen, auf dessen ambivalente Figuren, auf den moralischen Konflikt im gesellschaftlichen Kontext. Möglicherweise liegt in M sogar die deutsche Krimi-Leidenschaft und die TATORT-Idee, dass man im Krimi besonders gut gesellschaftliche Entwicklungen verhandeln kann, begründet. Heute kann man die Bilder des Mobs, der in M einen älteren Herrn umringt, den er für den Mörder hält, nicht sehen, ohne an aktuelle Ereignisse wie etwa an den Fall der 13-jährigen Lisa aus Marzahn zu denken, in dessen Umfeld ein aufgestachelter Mob ein Flüchtlingsheim attackierte. M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER mag 85 Jahre alt sein, aber seine Aktualität und sein humanistisches Plädoyer sind ebenso unbestreitbar wie seine ästhetischen Errungenschaften.

Gordian Maugg muss sich gefragt haben, wie diese unglaubliche Komplexität, diese ästhetische Intensität, und diese mutige, sich gegen den Zeitgeist behauptende Humanität entstehen konnten. FRITZ LANG ist mehr als eine Biografie, mehr als ein Bio-Pic, Mauggs Film ist ein Zeit-Bild, das die aktuelle Wahrnehmung von M zum Ausgangspunkt einer traum- und rauschhaften, psychologischen und historischen Erkundung macht. Gordian Maugg ist schon seit seinem vielfach preisgekrönten, auf einer handgetriebenen Askania-Kamera von 1927 gedrehten Debüt DER OLYMPISCHE SOMMER (1993) einer der originellsten deutschen Filmemacher und ein Spezialist für die Rekonstruktion historischer Filmstile. Auch in FRITZ LANG fügen sich Originalbilder aus Lang-Filmen, aber auch aus Wochenschauen und anderem historischen Bild- und Ton-Material fast nahtlos in die Erzählung ein – auch ein technisches Meisterstück.

Fritz Lang (Heino Ferch) ist 1929 an einer Karriereschwelle. Mit DIE FRAU IM MOND hat er einen der letzten Stummfilme produziert, und noch macht er sich auf Partys über den Tonfilm lustig, aber um in Stimmung zu kommen, benötigt er Kokain, die Beziehung zu seiner zweiten Frau Thea von Harbou ist frostig und die Drehbücher für den ersten Lang-Tonfilm sind alle Mist. Nachts marschiert die SA zum Horst-Wessel-Lied durch die Straßen Berlins. Lang erkennt in der Melodie ein Lied, das ihm seine jüdische Mutter als Kind vorgesungen hat. Er sucht sich eine Prostituierte, und während eines hässlichen Verkehrs in einem Treppenhaus zeigt Maugg eine wilde Montage aus historischen Filmbildern: Pornos, Aufmärsche, Rausch und Straßengewalt - eine Vision gewaltsamen Begehrens.
Am nächsten Morgen packt Fritz Lang seine Reisemonokel zusammen und macht sich auf den Weg nach Düsseldorf, um über den Fall des als „Bestie von Düsseldorf“ bekannten Kinder- und Frauenmörders zu recherchieren, für den gerade der berühmte Berliner Polizeirat Gennat (Thomas Thieme) nach Düsseldorf abgestellt wurde. Die Recherchereise, die den Grundstock für M legen wird, führt Lang auch in seine eigene Vergangenheit. Gennat war Lang vor einiger Zeit schon einmal begegnet, aber damals war der Regisseur selbst der Verdächtige…

Heino Ferch, Thomas Thieme und auch Samuel Finzi als der Mörder Peter Kürten spielen großartig, mit dezentem Understatement, aber stets absolut präsent. Die Szenen, die Maugg als Quelle von Langs visuellen Ideen konstruiert, sind überzeugend und reflektieren das Verhältnis von Bildidee und Wirklichkeit. Ein fantastischer Film, und es ist schön, dass es die Möglichkeit gibt, Mauggs Film ein paar Mal auch im Doppelpaket mit M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER zu sehen.

Tom Dorow

Details

Deutschland 2015, 104 min
Genre: Biografie, Drama
Regie: Gordian Maugg
Drehbuch: Gordian Maugg, Alexander Häusser
Kamera: Lutz Reitemeier, Moritz Anton
Verleih: W-Film
Darsteller: Johanna Gastdorf, Heino Ferch, Samuel Finzi, Thomas Thieme, Lisa Charlotte Friederich
FSK: 12
Kinostart: 14.04.2016

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