Eine Frau fährt Auto, sehr lange. Immer wieder sind ihre Augen im Rückspiegel zu sehen, sie wirkt ein wenig angespannt. Dann stellt eine andere Frau ihr detailreiche Fragen. Astrid Schaar (Emmanuelle Devos) wird zu einer Hausdurchsuchung vernommen, ihr Sohn und ihr Mann scheinen involviert.
Regisseur Joachim Lafosse lässt die Zuschauer*innen ausharren, lenkt die Aufmerksamkeit auf Details. Wie Puzzlestücke wirft er Sätze seiner Figuren in den Raum. Beobachtung folgt auf Beobachtung. Langsam fügt sich das Beziehungsgeflecht in der Rückblende zusammen. Man muss sich anstrengen, um die Zusammenhänge zu erschließen, so lange hinsehen, bis es einsickert, dass hier nichts einfach serviert wird: keine Emotionen, Motive, keinerlei Erlösung in Form von Selbstreflexion. Astrids Mann François (Daniel Auteuil) ist Anwalt in einem Prozess, bei dem es um Pädophilie und Inzest geht. Die Medien belagern das Haus der Familie, und François wirkt müde. Nicht der Prozess ist es jedoch, der die Menschen auf dem luxuriösen Anwesen erschöpft, sondern die jahrzehntelang verdrängte Schuld, die François auf sich geladen hat.
Lafosse bezieht sich in seinem Plot auf die Geschichte des belgischen Anwaltes Victor Hissel, der einige Familien der von Marc Dutroux missbrauchten und getöteten Kinder vertrat. Er wurde nach Abschluss seiner Tätigkeit wegen Besitzes von Kinderpornografie verurteilt und wenig später von seinem Sohn niedergestochen. Die Dramaturgie konzentriert sich jedoch auf Astrid und das Verhältnis zu ihrem Sohn Raphael. Da scheint es noch Zuneigung zu geben, die der Wohlstandslangeweile trotzt. Sohn und Vater leben in dysfunktionaler Koexistenz, das Ehepaar selbst geht sich meist aus dem Weg. Dann fahren Polizeiwagen auf das Gelände und das Puzzle ergibt ein Bild.

Susanne Kim