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Die Liebe frisst das Leben

Ein Leben knapp vor dem Durchbruch

Der Film spürt dem Werk von Tobias Gruben nach, der auch zwanzig Jahre nach seinem Tod als ungeschliffener Diamant deutscher Popkultur als nahezu unentdeckt gilt. Junge Bands wie Messer oder Isolation Berlin inspiriert der Sänger von Cyan Revue und Die Erde zu Coverversionen. Der Film erzählt aber nicht nur von einer unvollendeten Musikerkarriere, sondern er beschreibt auch den anhaltenden Kampf eines Sohnes um die Anerkennung seines Vaters. In Interviews, teils unveröffentlichter Musik und Briefen führt die Dokumentation direkt in das Herz und den Kopf eines fast vergessenen Musikers, der kurz vor dem kommerziellen Durchbruch an einer Überdosis stirbt und dessen Texte und Lieder bis heute berühren.

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Dass der reguläre Kinostart des Dokumentarfilms DIE LIEBE FRISST DAS LEBEN verschoben werden musste, ist tragisch, passt aber genau zu der Lebensgeschichte, die der Film erzählt. Nach Fraktus, Jürgen Zeltinger und Tokio Hotel porträtiert Oliver Schwabe den Grafiker und Musiker Tobias Grube, der sich 1996, kurz vor der Zeichnung bei einem Major Label und dem erwarteten Durchbruch, den goldenen Schuss setzte. Es sollte die Belohnung sein für mehr als ein Jahrzehnt, die Gruben in der Hamburger Musikszene damit verbracht hatte, seine musikalische Karriere aufzubauen und seiner künstlerischen Vision immer näher zu kommen.
Als Teil der Minimalelektronik-Gruppe Die 4 Kaiserlein waren Grubens Texte noch dadaistisch-leicht. Das Folgeprojekt Cyan Revue bot dunklere Klänge, orientierte sich aber stark an englischsprachigen Vorbildern. Erst mit Die Erde konnte Gruben auf Deutsch emotional-biografische Texte singen, deren „No Wave“-Vertonung Alfred Hilsberg („What’s so funny about“ Label) auf die Band aufmerksam machte und den Grundstein für eine steilen Aufstieg hätte legen können. Der Grund dafür, dass diese Inkarnation der Erde bald zerbrach, und ihre Musik ein Geheimtipp bleiben liess, fand sich im Heroin, das zu dieser Zeit immer mehr Raum in Tobias' Leben einnahm.

Oliver Schwabe kann in seinen Dokumentarfilm so viel Material über Tobias Grubens Leben und Kunst zeigen, dass man sich fast schämt, wenn man vorher noch nie von seinen Projekten gehört hat. Mit Coverversionen durch jüngere Musiker wie Messer, Isolation Berlin und Tom Schilling demonstriert der Film den enormen und andauernden Einfluss, den Grubens Musik auf einen kleinen Kreis von Künstlern hatte. Das Herzstück der Geschichte sind aber die historischen Aufnahmen und Interviews mit Weggefährt*innen und Geschwistern, die alle von einem Menschen erzählen, der fest an seinen Traum geglaubt hat, dabei aber eine Offenheit und Sanftheit besass, wie sie in Geschichten, die im Drogentod enden, eher selten sind. Es werden ausführlich emotionale Briefe zitiert, die Tobias Gruben an seinen tyrannischen Vater schrieb, der seiner Bildungsbürgersicht so verhaftet war, dass er nicht nur kein Interesse an der Kunst seines Sohnes hatte, sondern sogar versuchte, Tobias gerichtlich die Sozialhilfe für sein „Gammelleben“ abzudrehen. DIE LIEBE FRISST DAS LEBEN zeigt Tobias Streben nach der Anerkennung seines Vaters und wie er dabei niemals den leichtesten Weg wählte, auf dem dieser ihn vermutete.
Und er wirft die Frage auf, ob es Tobias irgendwann nicht vielleicht doch zu dem Ruhm gebracht hätte, der ihm immer wieder knapp entwischte.

DIE LIEBE FRISST DAS LEBEN ist ab dem 15.5. auf allen gängigen Streaming-Platformen und direkt bei mindjazz erhältlich.


Christian Klose

Details

Originaltitel: Die Liebe frisst das Leben – Tobias Gruben, seine Lieder und die Erde
Deutschland 2019, 92 min
Genre: Dokumentarfilm, Musikfilm
Regie: Oliver Schwabe
Drehbuch: Oliver Schwabe
Kamera: Nikolas Jürgens, Benjamin Wistorf, Henning Drechsler
Schnitt: Christian Becker
Musik: Tobias Gruben, Die Erde, Cyan Revue
Verleih: mindjazz Pictures
Darsteller: Imogen Gruben, Sebastian Gruben, Horst Petersen, Alfred Hilsberg, Peter Sempel, FM Einheit, Rocko Schamoni, Tom Schilling
FSK: 12
Kinostart: 15.05.2020

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IMDB

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