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Die Ermittlung

Grandioser Text

Die Umsetzung eines grandiosen Textes mittels außerordentlicher Schauspielkunst.

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In den Theatern kommen zurzeit vornehmlich Stücke nicht von, sondern nach Goethe, Tschechow oder Co. auf die Bühne, im Extremfall als Überschreibung. Allein deshalb ist DIE ERMITTLUNG nicht hoch genug zu preisen. Weil Peter Weiss‘ literarische Verdichtung der Protokolle des Frankfurter Auschwitzprozesses, vor fast 60 Jahren uraufgeführt, vom deutschen Theater ganz vergessen wurde. Und weil diese in elf Gesänge aufgeteilte Annäherung an das Menschheitsverbrechen des 20. Jahrhunderts ungekürzt realisiert wurde – der ganze Text, Wort für Wort (vier, nicht zu lange Kinostunden lang), auch die Regieanweisungen.
Im achten Kapitel zum Beispiel, im „Gesang vom Phenol“, als der Angeklagte Nummer 8 (der Sanitäter Klehr) protestiert: Nur so zwischen 250 und 300 seien es gewesen, die er „abgespritzt“ habe, aber doch nicht 16.000. Da wäre ja nur noch der Musikzug übriggeblieben. „Die Angeklagten lachen“ schreibt Weiss hier vor. Sie lachen also, die Herren Täter, wenn auch verhalten – nichts in RP Kahls Inszenierung ist zu laut, zu direkt, auf Effekt aus. Immer wird, auch durch das karge Bühnenbild, den Lichtwechsel, deutlich, dass es hier um die Umsetzung eines grandiosen Textes mittels außerordentlicher Schauspielkunst geht, nicht um ein Gerichtsdrama oder gar den Versuch, den Komplex Auschwitz nachzustellen.
Eine Abweichung vom Text erlaubt sich die Regie: Statt der auf neun reduzierten Zahl der Zeugen sind es im Film 28, die, obwohl namenlos, aus der anonymen Menge heraustreten, den Opfern eine Stimme, ein Gesicht verleihen. Das gibt ihnen mehr Gewicht, Gewicht, das sie verdienen.

Elisabeth Bauschmid

Details

Originaltitel: Die Ermittlung. Oratorium in elf Gesängen
Deutschland 2023, 241 min
Genre: Drama
Regie: RP Kahl
Drehbuch: Peter Weiss
Kamera: Guido Frenzel
Verleih: Leonine
Darsteller: Rainer Bock, Clemens Schick, Bernhard Schütz
Kinostart: 25.07.2024

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