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Der Unschuldige

Lobpreis, Kopftransplantationen, Untote

Ruth ist Anästhesistin in einer Klinik, in der eine Kopftransplantation bei einem Affen versucht wird. Ihr Ehemann ist Mitglied in einer freikirchlichen Sekte. Plötzlich sitzt ihr Ex nachts auf dem Sofa, der vor 20 Jahren wegen Mordes verurteilt wurde.

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DER UNSCHULDIGE begann, wie der Schweizer Filmemacher Simon Jaquemet (CHRIEG) berichtet, mit einer realen Zeitungsmeldung: Ein junger Mann war angeklagt, aus Geldgier seine Erbtante ermordet zu haben. Seine Geliebte und ihre Freunde demonstrierten täglich vor dem Gericht, weil sie an die Unschuld des Angeklagten glaubten. Jacquemets Film DER UNSCHULDIGE spielt zwanzig Jahre später. Die ehemalige Geliebte des Angeklagten, Ruth, ist Anästhesistin in einer Klinik, in der eine Kopftransplantation an einem Affen versucht wird. Sie ist verheiratet mit einem Angehörigen einer christlichen Freikirche, der auf dem heimischen Sofa Lobpreislieder zur Gitarre singt. Dann erfährt sie, dass ihr Ex-Lover Andy aus dem Gefängnis entlassen wurde. Kurz darauf sitzt Andy mitten in der Nacht auf ihrer weißen Ledercouch, während die Familie schläft und fordert sie auf, noch in der Nacht mit ihm abzuhauen. Aber Ruth bleibt, vorerst. Kurz darauf erfährt sie, dass Andy nach seiner Entlassung während einer Indien-Reise ums Leben gekommen sein soll.
Jacquemets Film riskiert viel mit seiner steilen Konstruktion, die wirkt, als sei sie komplett aus Nachrichtenfetzen zusammengeklöppelt wie eine Übung im Creative-Writing-Seminar. Aber der Film funktioniert, weil Jaquemet eine dichte Atmosphäre schafft, in der Realität und Fantasie, die Welt der Lebenden und der Toten verschwimmt. Ruths farblose Realität wirkt wie echte Hölle in Weiß- und Grautönen, in der nicht ganz wirkliche Gestalten ihr an einen lange verborgenen Charakterkern wollen. Die angestrengt milde lächelnden Freikirchler bieten alles auf, um Ruths mühsam aufkeimende Lebendigkeit endgültig zu begraben. Ihr Job, der Leben retten sollte, hilft nur, ein untotes Monstrum zu schaffen. Im Niemandsland zwischen Ultra-Hardcore-Arthouse und Psycho-Horror hat sich Simon Jaquemet ein sehr spezielles, wunderbar unsicheres Plätzchen geschaffen.

Tom Dorow

Details

Schweiz/Deutschland 2018, 114 min
Genre: Drama
Regie: Simon Jaquemet
Drehbuch: Simon Jaquemet
Kamera: Gabriel Sandru
Verleih: Film Kino Text
Darsteller: Judith Hofmann, Christian Kaiser, Anna Tenta, Urs-Peter Wolters
FSK: 16
Kinostart: 05.12.2019

Website
IMDB

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