Magazin für unabhängiges Kino
Filmwecker
Filmnotiz

Neue Notiz

Der Nachname

Der Streit geht weiter

Die Komödie DER NACHNAME bringt die Protagonist*innen von DER VORNAME wieder zusammen. Anlass ist eine Reise ins Familien-Ferienhaus auf Lanzarote wo Mutter Dorothea inzwischen den quasi Adoptivbruder René geheiratet und dessen Namen angenommen hat.

Mehr

2018 inszenierte Sönke Wortmann nach dem französischen Theaterstück und Erfolgsfilm LE PRÉNOM die schwungvolle Dialog-Komödie DER VORNAME. Eine Abendesseneinladung unter den Geschwistern Böttcher und deren Partnern im bürgerlichen Bonn eskaliert, als der jüngste Bruder, Thomas (Florian David Fitz) erzählt, dass er und seine Freundin Anna (Janina Uhse) ihr Kind Adolf nennen wollen. Als sich schließlich herausstellt, dass das alles nur ein blöder Witz war, um den bildungsbürgerlichen Schwager Stephan (Christoph Maria Herbst) auf die Palme zu bringen, spielt das kaum mehr eine Rolle, weil mit jedem Durchlauf der Diskussion neue familieninterne Ressentiments und Enthüllungen auf den Tisch gekommen sind. Als sich alle dann doch fast wieder beruhigt haben, platzt die Bombe: René (Justus von Dohnányi), feinfühliger Klarinettist, Freund aus Kindertagen und quasi Adoptivbruder – seit dem Tod seiner Eltern wuchs er bei den Böttchers auf – ist keineswegs schwul, sondern hat eine Affäre. Mit der Mutter der drei, Dorothea (Iris Berben).

Ohne per se sonderlich sympathisch zu sein, wachsen einem die normal dysfunktionalen Charaktere ans Herz, allen voran Caroline Peters als Gastgeberin Elisabeth, die alles tut, um die gute Stimmung zu retten („Letztendlich ist es ja die Entscheidung der Eltern“. „Beim nächsten Gang reden wir aber über etwas anderes.“) bevor auch ihr die Hutschnur reißt. Die Fortsetzung DER NACHNAME, die nun ins Kino kommt, bringt die Protagonist*innen wieder zusammen. Anlass ist diesmal eine Reise ins Familien-Ferienhaus auf Lanzarote, auf dem Mutter Dorothea und René mittlerweile Wein und Gras anbauen und die Tage genießen. Als Anstoß für ein erneutes Dialogkarussel um Geheimnisse und Enthüllungen unter den Böttchers, Berger-Böttchers und Königs dient ein Nachname. Dorothea hat geheiratet und Renés Namen, König, angenommen, und ihre Kinder fühlen sich verraten. Wie im Vorgängerfilm wird das ausführlich verhandelt, wobei dann eine Reihe weiterer Baustellen auf den Tisch kommen. Während DER VORNAME sich elegant um Nichtigkeiten – blöde Witze, Eitelkeiten, Antipathien und Ressentiments aufgrund vergangener Schmähungen - drehte und dabei geschickt die Bruchlinien in den Beziehungen freilegte, agiert DER NACHNAME schwerfälliger und fährt weit schwerere Geschütze auf. Jede und jeder trägt ein Geheimnis mit sich herum, das an Verrat grenzt, und jedes für sich Grund für eine größere Ehekrise wäre. In Einzelgesprächen kommen diese zuerst als vertrauliche Enthüllungen zur Sprache, bevor sie durch eine ganze Kaskade von weiteren Vertrauensbrüchen in die große Familienrunde gelangen.

In der brachialen Konstruktion bleiben Situationskomik, Charakterzeichnung und Glaubwürdigkeit weitgehend auf der Strecke. Inszenierung und Drehbuch nehmen weder die Personen noch deren Probleme ernst, sondern schicken sie durch eine Nummernrevue weitgehend erfunden wirkender Dialogsituationen, bevor ein Happyend behauptet wird. Das ist ein Jammer, denn der Cast kann bewiesenermaßen weit mehr, bekommt aber kaum Raum, um sein Talent zu entfalten.

Vorsicht: Ab hier SPOILER SPOILER SPOILER – Wer Lust auf ein Wiedersehen mit den Berger-Böttcher-Königs und überraschende Plot-Twists hat, sollte jetzt aufhören zu lesen.

Am deutlichsten wird die Empathielosigkeit des Drehbuchs in der neu hinzugekommenen Figur von Lucia (Elena Sancho). Lucia ist die Tochter der verstorbenen Haushälterin der Familie und diplomierte Weinbauerin, die sich um den Weinanbau der Familie kümmert. Wir sehen Lucia zunächst mit dem Blick von Thomas, der aus dem Fenster schaut und sie als bildhübsche Erscheinung in der Landschaft stehen sieht. Dieser Blick von außen zieht sich durch – Lucia bleibt am Rande und erhält nie eine eigene Erzählung oder Perspektive, und das, obwohl sie sogar mehrere zentrale Funktionen in der Story übernimmt. Der doppelte Haken der Geschichte geht nämlich so: Zum einen wollen René und die an die 70-jährige Dorothea ein Kind und Lucia soll als – Überraschung! – lesbische Vertraute der Familie die Leihmutter geben, was, sie warum auch immer, gerne möchte. So berichten es jedenfalls René und Dorothea, Lucia selbst hat quasi keine Stimme, sie spricht ja auch nur Spanisch. Zum anderen stellt sich in der zentralen Familienabrechnung heraus, dass Lucia die uneheliche Tochter von Dorotheas erstem Mann ist, der eine Beziehung mit der Haushälterin hatte, was dem Leihmutterplan aber keinen Abbruch tut. Im Gegenteil, während die anderen sich in der Wolle liegen, kommt Lucia nie anders als charmant lächelnd vor und wird schließlich in das Familienpatchwork als fröhliches Multikultielement integriert.

Diese eklatant koloniale Perspektive – das exotische „Andere“ verjüngt das veraltete, feudale Bürgertum, am besten ohne dazu eine eigene Meinung zu haben – reflektiert der Film an keiner Stelle. Die Blindheit findet ihren Höhepunkt in Dorotheas abschließender Rede als Matriarchin, in der sie allen Ernstes zu ihrer Verteidigung anführt, dass sie und ihr damaliger Mann, Lucias Vater „immer ehrlich zueinander waren“. Dass sie alle anderen, allen voran Lucia, getäuscht haben, ist dagegen vernachlässigbar. Dazu passt es, dass Lucias Darstellerin in der Castliste des Verleihs auf dem Filmplakat nicht einmal genannt wird.

Hendrike Bake

Details

Originaltitel: Der Nachname – Familienurlaub ist kein Urlaub
Deutschland 2021, 87 min
Sprache: Deutsch
Genre: Komödie
Regie: Sönke Wortmann
Drehbuch: Claudius Pläging
Kamera: Jo Heim
Schnitt: Martin Wolf
Musik: Helmut Zerlett
Verleih: Constantin Film Verleih
Darsteller: Iris Berben, Christoph Maria Herbst, Caroline Peters, Florian David Fitz, Justus von Dohnanyi
FSK: oA
Kinostart: 20.10.2022

Website
IMDB

Vorführungen

Keine Programmdaten vorhanden.

ALLE ANGABEN OHNE GEWÄHR.
Die Inhalte dieser Webseite dürfen nicht gehandelt oder weitergegeben werden. Jede Vervielfältigung, Veröffentlichung oder andere Nutzung dieser Inhalte ist verboten, soweit die INDIEKINO BERLIN UG (haftungsbeschränkt) nicht ausdrücklich schriftlich ihr Einverständnis erklärt hat.