Zweimal habe er sich geirrt, sagt Otto, der Großvater von Regisseurin Kathrin Jahrreiß. Über die Lebensdauer des NS- und des SED-Regimes. Zwei deutsche Unrechtsstaaten, von denen er glaubte, dass sie schnell wieder verschwänden. Er ist der DER DRITTE BRUDER, auf dessen Spurensuche Jahrreiß in ihrem Dokumentarfilm geht.

Während sein Bruder Hermann während der Zeit des Nationalsozialismus ausgerechnet als Völkerrechtler Karriere machte, heiratete Otto wie Walther eine Jüdin. Walther emigrierte in die USA und arbeitete dort als Psychiater. Otto blieb zurück, seine Frau Ruth wurde zunächst in „Schutzhaft“ genommen und schließlich im Konzentrationslager ermordet. Kaum lässt er in einer Traueranzeige schreiben, seine Frau wäre ihm „grausam entrissen“ worden, wird er selbst verhaftet.

Nach dem Krieg treffen sich die Brüder mehrfach, Herrmann ist rehabilitiert als Mitverteidiger in den Nürnberger Prozessen, Otto Stasi-Informant. Offenbar reden sie kaum ein Wort über die grenzenlosen Ungleichheiten, die sie trennen. Ungleichheiten, die sich auf einzigartige Weise entlang der deutschen Geschichte erzählen lassen. „Verwandt sein für sich allein ist ohne inneren Wert“, schreibt Otto in einem Brief. Und: „Auch wenn die Geister sich die Hölle borgen, was Schmerz sein soll, das bleibt auf meiner Rüstung Staub.“

Durch die späten Erzählungen ihres ebenfalls lange in Schweigen geübten Vaters enthüllt Kathrin Jahrreiß eine Familiengeschichte, die von Widerstand, Mitläufertum und Sturheit zugleich geprägt ist. Sie stellt anhand von Briefen, Fotografien und Interviews eindrücklich unter Beweis, warum die Generation ihrer Großväter auch die „Silent Generation“ genannt wird. Die nötigen Wörter hätte sie gekannt – das Wichtigste aber nie ausgesprochen. DER DRITTE BRUDER fügt ein privates Puzzleteil hinzu, um die Lücken zu schließen.

Christopher Suss