2018 gewann Balkrishna Doshi als erster indischer Architekt den Pritzker-Preis, den Nobelpreis für Architektur. Die Jury betonte die Poesie, die Funktionalität und den sozialen Anspruch seiner Projekte. All das vermittelt Jan Schmidt-Garres Dokumentarfilm DAS VERSPRECHEN sehr gut.
In die Lehre gegangen ist Doshi bei Le Corbusier und damit tief verwurzelt in der europäischen Moderne. Doch bringt das, was Doshi von seinem „Guru“ und dessen Einfluss auf ihn berichtet, eine weniger strenge, technokratische Seite von Corbusier zum Vorschein und bezeugt die vielseitige, erfolgreiche Tätigkeit des französischen Stararchitekten in Indien jenseits der berüchtigten Planstadt Chandigarh. Doshis von Corbusier geprägte Vision modernistischer Architektur ist voller Leichtigkeit und Humanismus.
Leicht erscheint sie durch die bestechende Offenheit gegenüber den Elementen: Jedes von Doshi gebaute Haus ermöglicht einen nahtlosen Übergang von Innenraum in Außenraum, zahlreiche Öffnungen helfen der Luftzirkulation und erzeugen einen kontinuierlichen Fluss im physischen und im übertragenen Sinn. Dass diese Bauweise mit ihrer natürlichen Temperaturkontrolle heute als nachhaltig gilt, ist dabei nur ein Nebenaspekt und wirkt bei Doshi wie eine Selbstverständlichkeit.
Humanistisch erscheint seine Architektur durch den ständigen Fokus auf die Erfahrung möglicher Bewohner*innen, ihr sinnliches Erleben der ineinander fließenden, doch oft überraschenden Räume, ihre Aneignung der Gebäude zu Wohnorten und ihre jahrzehntelange Nutzung. Der durch die Elemente und durch menschlichen Gebrauch unweigerlichen Veränderung seiner Werke blickt Doshi gelassen entgegen. Der in einem seiner frühesten Projekte angesammelte Müll scheint ihn ebenso wenig zu stören wie die wuchernde Vegetation. Lieber lässt er sich von ansässigen Kindern das Areal erklären, das er seit Jahrzehnten nicht betreten hat – und blickt mit ihnen auf der Schaukel sitzend lächelnd in den sich ausbreitenden Urwald.

Yorick Berta