Kirill Serebrennikows Film über das Leben des Kriegsverbrechers Josef Mengele ist eine vehemente Anklage der Nachkriegsgesellschaft. Anders als Adolf Eichmann wurde Mengele nie gefasst und starb 1979 in Brasilien eines natürlichen Todes. Nun war es durchaus nicht so, dass niemand gewusst hätte, wo Mengele sich aufhielt. Bereits die erste Sequenz des Films zeigt eine Reise Mengeles (August Diehl) aus Argentinien nach Günzburg zu seiner Familie, dem Landmaschinenfabrikanten Karl Mengele (Ehrenbürger der Städte Günzburg und Höchstädt and der Donau) und seinem Bruder Alois Mengele (Rudolf-Diesel-Medaille, Ehrenbürger von Höchstädt). Die Familie wusste jederzeit, wo sich Josef Mengele aufhielt, schickte Emissäre, Alois besuchte den Bruder, und selbst Josef Mengeles Sohn aus erster Ehe stattete dem Vater 1977 einen Besuch in Sao Paolo ab. Das Geld der Mengeles erlaubte Josef zunächst ein glamouröses, später immerhin noch ein relativ komfortables Leben, wobei Mengele zunehmend verbittert. Glamouröser Höhepunkt ist die Hochzeit mit der Witwe seines Bruders, mit Hakenkreuz-Blumenrabatten, zahlreichen Nazi-Honoratioren, und deren Hoffnung, dass der amerikanische Individualismus-Spuk bald vorbei wäre. Selbst am Tiefpunkt findet Mengele noch eine junge Haushälterin, die nebenbei Penismassagen gibt.
DAS VERSCHWINDEN DES JOSEF MENGELE ist ein Film, der Juckreiz und Übelkeit auslösen kann, nicht, weil die Bilder so schrecklich wären, sondern weil der Charakter in seinem ewigen Wüten, seinem Beleidigtsein, seinem Selbstverständnis, unbedingt Besseres verdient zu haben, in seiner Schamlosigkeit und arroganter Bosheit so gegenwärtig und beharrlich erscheint. Mengele aufzuspüren, wäre in erster Linie Aufgabe der deutschen Behörden gewesen. Aber da wurde, wie Karl Mengele es forderte, nach vorn geschaut. Ein sehr ungemütlicher Film.

Tom Dorow