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Das blaue Zimmer

Noiresk verschlungen

Kopfüber stürzt sich Regisseur und Hauptdarsteller Mathieu Amalric in das Abenteuer eines Seitensprungs - eine Amour fou mit einer Femme Fatale, gefolgt vom bitteren Nachspiel der Ernüchterung und einer juristischen Ermittlung. Noir nach einem Roman von Georges Simenon.

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Was vom Flirt, der Verlockung eines Sommers, dem Eros übrigbleibt: Kopfüber stürzt sich Regisseur und Hauptdarsteller Mathieu Amalric in das Abenteuer eines Seitensprungs, dessen erotische Verlockungen und dessen Verheißung auf Erlösung aus einer schal gewordenen, bürgerlichen Existenz - eine Amour fou mit einer Femme Fatale, gefolgt vom bitteren Nachspiel der Ernüchterung. Die Liaison endet nach Mord und Totschlag und einem Zwischenspiel in den Hinterzimmern der Justiz in einer vollendeten biografischen Katastrophe.

Auch das Kinopublikum erliegt der Verführung, wenn Amalric seinen Film wie einen entfesselten erotischen Rausch beginnen lässt. Die Kamera führt mitten hinein in eine Welt voller Laken, Sonnenstrahlen, Schweiß und Begehren - sie fragmentiert die Körper im Anschnitt, findet so sinnliche, wie flüchtige ästhetische Eindrücke ausgelebter Liebe wider die bürgerlichen Wertvorstellungen. Subjektivierung, Ästhetisierung, Verkünstlichung der Leidenschaften, hin zu einer wahrhaftigeren Ekstase des Begehrens - schön körperlich und verführerisch ist das alles anzusehen, ohne dass sich der Film dabei je an die Bilderwelten des parfümierten Softerotik-Kinos preisgibt. DAS BLAUE ZIMMER visualisiert nicht nur den Reiz einer Affäre, wenn der eigentlich in besten Lebensverhältnissen stehende, verheiratete Julien sich ganz und gar an die mysteriös verheißungsvolle, ebenfalls verheiratete Esther (Stéphanie Cléau) hingibt; vielmehr lässt sich der Film zunächst über weite Strecken von diesem Reiz vollkommen infizieren.

Doch diese ganz vom Begehren und der Lust affizierte Ästhetik bestimmt allenfalls die erste Hälfte dieses mit 75 Minuten so knackig wie gesund kurz gehaltenen Films. Bald tauchen rätselhafte Liebesnotizen auf, schließlich ist der Tod von Juliens und Esthers Eheleuten zu beklagen. Die Sache landet vor Gericht, dessen Kühle und Rationalität die zweite Hälfte des Films entschieden prägt. Der flirrend-spätsommerliche Eros weicht der juristischen Verwaltung der Lüste: Wie sah dieses Verhältnis, aus dem unter geheimnisvollen Bedingungen heraus anscheinend Morde begangen wurden, tatsächlich aus? Liebesberauschte Flüstereien aus dem Bett werden nochmals aufgesagt, stenografiert und der entsinnlicht-blanken Welt der Buchstaben zugeführt. Der Poetisierung des Exzesses folgt dessen Ernüchterung durch die Bilanz, auf deren Grundlage schließlich Recht gesprochen wird. Versachlichung und Versprachlichung, Zurkenntnisnahme und Verschriftlichung: Das körperliche Begehren füllt alsbald die Aktenberge und kommt in solcher Abstraktion endgültig zum Verschwinden.

DAS BLAUE ZIMMER ist von einigen, sehr einschneidenden ästhetischen Entscheidungen geprägt. Das Bild präsentiert sich im klassischen, im Kino heutzutage ungewöhnlich anzusehenden 4:3-Format, die Musik könnte unterdessen aus einem Hollywood-Melodram alter Schule stammen - oder womöglich auch aus einem inbrünstig in der Schattenwelt glühenden Film Noir. Schon mit diesen äußeren Parametern nähert sich Mathieu Amalric in diesem überhitzt-unterkühlten Seitensprung-Gerichtsthriller dem Terrain des klassischen Hollywoodkinos an. So ist denn auch die Geschichte vom Mann, der sich und sein Leben an eine Frau, die plötzlich in sein Leben tritt, verschwendet und sich unversehens in den Fängen der Justiz wiederfindet, ein klassischer Film-Noir-Stoff, den Amalric allerdings aus dem Chiaroscuro des Schwarzweiß hebt und über weite Strecken in die golden leuchtenden Farben des Spätsommers kleidet. Entsprechend noiresk verschlungen und verschachtelt erzählt Amalric seine Verfilmung des gleichnamigen Romans von Georges Simenon denn auch: Das offenkundig stattgefundene Verbrechen entzieht sich dem Publikum lange Zeit ähnlich wie dem erstaunten Julien, der lange Zeit nicht begreifen kann, im welchem Spinnennetz er sich hier verfangen hat.

Das Gericht wird dabei in einer schlussendlichen resignativen Volte zur Kathedrale, der Rechtsspruch wird zur Eheschließung, die Handschellen zu Eheringen: Bis dass der Tod uns scheidet, für immer Dein. Mit seinem sinnlich-tastenden, ernüchternd-zynischen, auf angenehm niedriger Stufe brodelndem Arthouse-Thriller hat Mathieu Amalric eines der ersten großen Highlights des noch jungen Kinojahres vorgelegt.

Thomas Groh

Details

Originaltitel: La chambre bleue
Frankreich 2014, 75 min
Genre: Thriller
Regie: Mathieu Amalric
Drehbuch: Georges Simenon
Kamera: Christophe Beaucarne
Schnitt: François Gédigier
Musik: Grégoire Hetzel
Verleih: Arsenal Filmverleih / Central Film
Darsteller: Mathieu Amalric, Léa Drucker, Laurent Poitrenaux, Stéphanie Cléau, Mona Jaffart
Kinostart: 02.04.2015

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