Der Gewinner des Locarno Filmfestivals kommt dieses Jahr aus dem Iran. Das Mullah-Regime hat Ali Ahmadzadeh für den Preis nicht ausreisen lassen, er hatte sich von vornherein aber auch keine Dreherlaubnis geholt, stattdessen vor allem nachts im Schutz des Autos gedreht. Mit Menschen, die sich selbst spielen. Im Zentrum steht Drogendealer Amir, der nachts in seiner Küche große Mengen Haschisch abpackt und quer durch Teheran fährt. Immer einen Joint im Mundwinkel, liebevoll mit seiner Bulldogge Mr. Frank, meist aber in stiller Gesellschaft seiner Navi-App – die ihn zuverlässig zu anderen Nachtgestalten bringt, an die Ränder der Gesellschaft. Die 20-Millionen-Stadt Teheran wabert wie ein übermächtiger Moloch, eine unheimliche Geräuschkulisse – Grunzen, Stöhnen, Piepen – bestimmt von Anfang an den Film. Die drogeninduzierten Erinnerungsfilme, die sich in Amir abspielen, erzeugen auf der Leinwand immer wieder Schwindelgefühle; mal dreht sich die Kamera am Lenkrad mit oder steht kopfüber. Wenn Amir nicht gerade seine Plastiktütchen ausfährt, hilft er einer befreundeten Altenpflegerin: Sie streichelt zärtlich die kahlen Köpfe, er verfüttert selbstgebackene Space Brownies. Immer wieder steigt eine neue Person in sein Auto. Meist Frauen, die ihre unverschleierten Geheimnisse aus- und dann wieder einpacken. Je länger der Trip andauert, desto mehr macht sich ein zutiefst beunruhigendes Gefühl breit: Die Kamera kommt zu nah, jede Bewegung zu viel scheint Amir aus seinem übernächtigten Gleichgewicht bringen zu können. Fast nebenbei kommt eines der reduzierten Gespräche im Auto darauf, wie man den Iran verlassen könnte oder ob man sich einfach mit einem Leben in Unfreiheit abfinden müsste. Mit dem Gespenst, das immer auf der Rückbank sitzt, einfach weiterfahren – das ist Amirs Rebellion im Stillen.

Anna Hantelmann