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Continuity

Postmoderner Mystery-Thriller

In Omer Fasts zweitem Langfilm, einer Art postmoderner Mystery-Thriller, der seine Installation "Continuity" von 2012 fortführt, wimmelt es nur so vor unzuverlässigen Erzählern. Alle heißen sie Daniel und alle haben sie mit dem Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan zu tun.

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Daniel (Constantin von Jascheroff) flüchtet vor dem Krieg. Der junge deutsche Soldat im Afghanistaneinsatz rennt vor den Panzern weg und danach so lange durch die Wüstenlandschaft bis vor ihm ein Dorf erscheint. Später wird Daniel (Josef Mattes) in Uniform von seinen Eltern am Bahnhof einer nicht weiter benannten deutschen Kleinstadt abgeholt. Sie haben ihm einen Willkommenskuchen gebacken, verziert mit einer Deutschlandflagge. Der junge Soldat kommt an, packt aus, schluckt eine Pille und sieht plötzlich Würmer in seinem Essen. Daniel (Lukas Steltner) ist nicht wohl, aber vorher erzählt er noch eine Geschichte von seinem Kameraden, der beim Pinkeln plötzlich von einem afghanischen Clan umringt wird. Die Menschen von denen er erzählt, erscheinen währenddessen als Tableau vivant im Wohnzimmer. Daniel (Niklas Kohrt) sieht plötzlich ein Auge in seinem Weinglas schwimmen. Doch Daniel (Bruno Alexander) ist eigentlich viel jünger und kommt erst spät ins Spiel. Für einen Afghanistaneinsatz ist er noch zu jung. Außerdem heißt er Felix.

Es wimmelt nur so vor unzuverlässigen Erzählern in Omer Fasts zweitem, atemberaubend erzählten Langfilm, einer Fortschreibung seiner Installation "Continuity" von 2012. Für die aufwendige Weiterführung seines 40-minütigen Videos wechselte bei Fast zwar fast das komplette Team hinter der Kamera, doch André Hennicke und Iris Böhm erzählen als Daniels verzweifelte Eltern - um drei Jahre gealtert - die Geschichte nahtlos und in Realzeit weiter, wobei Zeitebenen nicht die einzige Verunsicherung einer hier vermeintlich abgebildeten Realität sind. Die Figuren im Film sind oft Schauspieler ihrer eigenen Erzählung und machen ihren Job dabei manchmal nicht eben überzeugend oder brechen aus ihren Rollen aus, wodurch Omer Fast kleine Fährten legt, um in seinem inszenatorischen Puzzle kurz ein klareres Bild aufflackern zu lassen.

Wie so oft geht bei Fast um Krieg, Verlust und das Spiel mit Identitäten, das er diesmal auf die Spitze treibt, nicht zuletzt weil er durch zahlreiche (homo-)erotische Momente seine Figuren und Geschichten einem Queering unterzieht. Der Daniel, den wir in Afghanistan sehen, arbeitet in seiner Kleinstadt als Gelegenheitsstricher, um sich die Drogen zu finanzieren, die er in der örtlichen Bäckerei kauft. Ob er dies mit Männern macht, weil sie zugänglichere Kunden sind, oder weil es etwas mit Daniels Sexualität zu tun hat, bleibt offen, doch haben wir ihn vorher (oder spielt es danach?) bereits mit einem Kollegen im Truppenzelt gesehen. Und dann liegt er auf dem Boden der Bäckerei, in einem Bild das sicherlich nicht zufällig mit Topoi von SM-Sex spielt. Um Rollenspiele geht es die ganze Zeit, und die Tragik des Anlasses vermischt sich ein ums andere Mal, auch zwischen den verschiedenen Daniels und ihren Eltern, mit einer unerwarteten Erotik.

So vage die Koordinaten der Charaktere auch sein mögen, erzählen die Schauplätze auf der anderen Seite von realen Zuständen: Der Pool mit Gegenschwimmanlage im Bungalow der Kohl-Republik, die Fahrten durch die Neubausiedlung der provinziellen Kleinstadt, die Einbauküche des Hauses, an das im Regen erst noch das Namensschild angebracht werden muss - die unheimlichen Fährten der postmodernen Narration funktionieren deshalb so gut, weil das Irreale in einer genau beschriebenen Wirklichkeit fußt. Brillant die Szene, in der Daniel von seinem Kriegseinsatz erzählt und sich seine oft unglaubwürdigen Details im Halbdunkel des Esszimmers für das Publikum in Form von leblosen Schauspielern manifestieren. Oder die Bilder des Dromedars, das immer wieder auf dem Weg zum Bahnhof im Wald aufblitzt und irgendwann in den Wald führt.

CONTINUITY ist ein fesselnder, an postmodernen Vorbildern orientierter Mystery-Thriller geworden, durch dessen Doppelbödigkeit das Publikum immer wieder zurück ins Politische fällt. Die kluge Dekonstruktion der filmischen Wirklichkeit bleibt hier kein verwirrender Selbstzweck, denn die unbeantworteten Fragen weisen aus dem Film heraus und sind Geschenk für ein Publikum, das keine einfachen Wahrheiten mag.

Toby Ashraf

Details

Deutschland 2016, 85 min
Genre: Drama
Regie: Omer Fast
Drehbuch: Omer Fast
Kamera: Bernhard Keller, Patrick Orth
Schnitt: Heike Parplies, Omer Fast
Musik: Dirk Dresselhaus, Ilpo Väisänen
Verleih: Filmgalerie 451
Darsteller: André Hennicke, Josef Mattes, Lukas Steltner, Niklas Kohrt, Iris Böhm
Kinostart: 17.11.2016

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