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Clair Obscur

Blick aufs Meer

Sehnatz verkörpert den Traum von einem perfekten, freiheitlichen Mittelschichtsleben. Elmas wurde von den Eltern an einen weit älteren Mann verheiratet. CLAIR OBSCUR erzählt von offensichtlichen Unterschieden im Leben zweier türkischer Frauen - und von weit weniger offensichtlichen Gemeinsamkeiten.

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Die Psychologin Sehnatz scheint den Traum von einem perfekten bürgerlichen Mittelschichtsleben zu leben. Sie arbeitet im Krankenhaus einer türkischen Mittelstadt und wohnt in einem schlicht aber edel eingerichteten Steinhaus am Meer. Unverputzte Wände, offene Küche, Sofalandschaft, Kamin. Ihr Mann und dessen Architekten-Freunde sind ebenso gut angezogen und sorgfältig geschminkt wie sie. Der Sex sieht aus wie Leidenschaft und Cem kocht sogar.
Elmas wohnt in einem einfachen Wohnblock. Ihr Blick geht auf Müll und eine Brachfläche. Immer wieder stiehlt sie sich auf den Balkon, um heimlich eine Zigarette zu rauchen. Bevor sie wieder rein geht, um nach der bettlägerigen Schwiegermutter zu sehen, kaut sie noch schnell ein Kaugummi. Elmas ist sehr blass und sehr jung. Wenn ihr weit älterer Mann im Bett zu ihr sagt „Bitte hab' keine Angst vor mir“ und sie dann doch anfasst, obwohl sie sich wegdreht und bitterlich weint, ist das schwer zu ertragen. Wenig später wird Elmas in Sehnatz' Klinik eingeliefert – sie wurde halberfroren auf dem Balkon gefunden, ihr Mann und die Schwiegermutter erstickt in der Wohnung.
Mit kluger erzählerischer Ökonomie entwirft Regisseurin Yeşim Ustaoğlu (ARAF, PANDORA'S BOX) das Porträt der beiden auf den ersten Blick so unterschiedlichen Lebenswelten von Sehnatz und Elmas. Einiges wird nur kurz angerissen, die entscheidende Therapiesitzung findet nahezu in Echtzeit statt. CLAIR OBSCUR erzählt von offensichtlichen Unterschieden - und von weit weniger offensichtlichen Gemeinsamkeiten. Während Elmas mit Hilfe von Sehnatz langsam, mühsam und zum allerersten Mal ihr Elend und eigene Wünsche formuliert, zeigt Sehnatz' bürgerliches Wohlbehagen Risse. Auch sie performt – um die Fassade zu wahren, um Gewalt zu bannen. Auch sie zahlt einen Preis für Beziehung. Beide Frauen blicken aus sehr unterschiedlichen Fenstern, aber sie sehen das gleiche Meer.

Hendrike Bake

Details

Originaltitel: Tereddüt
Deutschland/ Frankreich/ Polen/ Türkei 2016, 105 min
Genre: Drama, Beziehungsfilm
Regie: Yesim Ustaoglu
Drehbuch: Yesim Ustaoglu
Kamera: Michael Hammon
Schnitt: Svetolik Zajc, Agnieszka Glinska
Musik: Antoni Lazarkiewicz
Verleih: Real Fiction
Darsteller: Okan Yalabik, Mehmet Kurtulus, Funda Eryigit, Ecem Uzun
Kinostart: 07.12.2017

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