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Bunch of Kunst – A Film About Sleaford Mods

Gleich drei Pop-Dokus erzählen im September Geschichten der elektronischen Musik. REVOLUTION OF SOUND. TANGERINE DREAM und CONNY PLANK – THE POTENTIAL OF NOISE erzählen von den beiden sehr unterschiedlichen Linien der elektronischen Popmusik in Deutschland.

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Gleich drei Pop-Dokus erzählen im September Geschichten der elektronischen Musik. REVOLUTION OF SOUND. TANGERINE DREAM und CONNY PLANK – THE POTENTIAL OF NOISE erzählen von den beiden sehr unterschiedlichen Linien der elektronischen Popmusik in Deutschland. Auf der einen Seite steht die eher an klassischer Musik orientierte „Berliner Schule“, zu der Tangerine Dreams Gründungsmitglied Edgar Froese zählte. Auf er anderen Conny Planks Studio in Wolperath, wo Plank zunächst experimentellen Krautrock produzierte, und mit den ersten Platten von Cluster, NEU!, Harmonia und Kraftwerk die Grundlagen einer völlig neuen, groove- und soundorientierten elektronischen Popmusik legte. A BUNCH OF KUNST – THE SLEAFORD MODS ist dagegen ein handgestrickter wirkender Film über die Post-Punk-Band aus Nottingham, deren Sound nicht ganz zufällig an die von Conny Plank produzierten ersten Platten von DAF erinnert.

Alle drei Filme sind natürlich auch Promo für neue Veröffentlichungen. Edgar Froese von Tangerine Dream ist zwar 2015 verstorben, hat aber Tapes hinterlassen, an denen die letzte Besetzung seiner Band weiterfrickelt. Conny Planks Sohn Stefan, der auch für den Film über seinen Vater verantwortlich zeichnet, hat Rechte an Connys Bändern geerbt, und da sich Herbert Grönemeyers exquisites Groenland-Label seit längerem darauf spezialisiert hat, die frühen Meisterwerke aus dem NEU!/Cluster/Kraftwerk/Harmonia-Umfeld zu veröffentlichen, wird da in nächster Zeit sicher auch noch einiges ausgegraben werden. Ein Plank-Sampler ist angekündigt. Die Sleaford Mods produzieren im Film eine neue Platte, und alle, die sie in ihrem Proberaum gefragt haben, finden das neue Zeug super: „Yeah, mate, it’s fuckin‘ great!“

Dabei ist TANGERINE DREAM zugleich der biederste und traurigste der Filme. Alexander Hacke liest einen sehr ordentlichen Text von Band-Gründer Edgar Froese vor, der alle historischen Stationen seines Lebens der Reihe nach abklappert und dazwischen ein wenig New Age Philosophie streut: Zeit ist eine Illusion, ebenso die Trennung der Menschen untereinander usw. Und ein bisschen Musiktheorie: Die Basis der Musik ist Bach, der Basso Continuo und der Kontrapunkt usw. Persönliches verrät Froese selbst nicht. Am spannendsten sind die Momente, in denen Wegbegleiter von den ersten Experimenten mit elektronischen Musikinstrumenten erzählen: zunächst mit einem Rauschgenerator, der einige Filter hatte, dann mit dem legendären EMS VCS-3, um schließlich bei der Verwendung des Moog-Synthesizers als Sequenzer zu landen, was den typischen Sound der Band ausmachen sollte. Interessant sind auch Passagen über die Arbeit der Band an Soundtracks wie den für SORCERER, William Friedkins einst wegen Heiligenschändung (der Film war ein Remake von Henri-George Couzots LOHN DER ANGST) verrissenen, inzwischen aber zum Kultfilm avancierten Thriller. Zu sehen gibt es nur Ausschnitte aus RISKY BUSINESS, einem Teenager-Film von 1983, aber SORCERER hätte durchaus mal eine Wiederaufführung verdient, auch wegen des innovativen Soundtracks, der für Tangerine Dream den Durchbruch in den USA bedeutete. Obwohl die Band sich kurz danach immer weiter auflöst, schildert REVOLUTION OF SOUND keinen einzigen Konflikt der Bandmitglieder untereinander. Ab Mitte der 80er Jahre muss Edgar Froese allein weitermachen und umgibt sich mit wechselnden Massen von Studiomusikern. Die letzten 30 Jahre der Band wirken wie ein langer, depressiver Zerfall, der sich mit Pomp und Pseudo-Philosophie über die Runden rettet.

CONNY PLANK war das Soundgenie und der experimentelle Advocatus Diaboli hinter Kraftwerk, NEU!, Harmonia, Cluster, Devo, Ultravox, Les Rita Mitsouko, DAF und den Eurythmics, aber auch Italo-Popstar Gianna Nanini zählte zu Planks Kunden, und natürlich eine ganze Reihe von Krautrock-Bands, die auch in der Doku dem Vergessen anheimgefallen sind, wie Grobschnitt, Eroc oder Jane. Die CONNY PLANK-Doku kommt persönlicher und wesentlich entspannter daher als TANGERINE DREAM, und sie schafft es besser, einen Eindruck von der Arbeitsweise und dem spezifischen Sound von Planks Studio vermitteln, unter anderem weil die Ausschnitte aus den einzelnen Stücken länger sind. Vor allem aber interessiert sich Stefan Plank aufrichtig für die Arbeit seines 1985 verstorbenen Vaters, und wenn er sagt, er versuche, sich mit diesem Film ein Stück Erinnerung an seine Kindheit zurückzuholen, dann nimmt man ihm das am Ende sogar ab. Einigen Musikern scheint es ähnlich zu gehen. Die älteren Herren, die einst zum Hip Hop-Duo Whodini gehörten, erzählen mit Tränen in den Augen, wie sie mit 17/18, ohne vorher jemals Brooklyn verlassen zu haben, zu Plank aufs Kaff kamen: „You were our little brother, man!“ Den Musikern, mit denen Stefan Plank spricht, ist die Liebe zu Conny anzumerken, und so trauen sie sich auch, Geschichten zu erzählen, die ein weniger ehrlicher Regisseur herausgeschnitten hätte. Wir erfahren unter anderem, dass der Sound von Hitlers Reden auf dem Reichsparteitag ein Vorbild für die verzerrten Gesangsaufnahmen für Plank gewesen ist: „Das macht Menschen zu Göttern“, soll er erklärt haben, während er die Regler nach oben schob. Vor allem aber schildern sie Planks Begeisterung für das Experiment und Spontaneität und erklären den Anteil, den sein kreativer Geist an den Aufnahmen hatte. „The Potential of Noise“ ist ein völlig gerechtfertigter Untertitel, denn Plank hat nicht nur das Potential des „Sounds“, jenseits von Melodie, Rhythmus und Groove entdeckt, sondern den Lärm, den Soundfehler, das Nichtharmonische in die (elektronische) Pop-Musik gebracht.

Die Arbeitsweise der SLEAFORD MODS unterscheidet sich nicht besonders von dem, was Gabi Delgado in der Conny-Plank-Doku von den Aufnahmen zum ersten DAF-Album erzählt: Robert Görl entwickelte mit Plank den Groove, Gabi improvisierte dazu. Die Zusammenarbeit von Sänger Jason Williamsons mit seinen Partnern Simon Parfrement (bis 2012) und Andrew Robert Lindsay Fearn sieht offenbar genauso aus. Andrew macht den Groove, Jason improvisiert, schreibt und editiert im Proberaum, während Jason und diverse andere „mates“ ihn anstacheln. Alles mit dem heute üblichen winzigen Equipment: ein kleines Keyboard, ein bisschen Software – der Sound der Sleaford Mods und vieler anderer moderner Electro-Bands lässt sich zur Not zum Preis einer E-Gitarre der Mittelklasse reproduzieren, während Tangerine Dream selbst als Trio ganze Lastwagenladungen voller Equipment benötigten. SLEAFORD MODS – A BUNCH OF KUNST ist heißer, wütender Stoff, der in der Tradition nordenglischer Bands wie The Fall und The Smiths steht. Aber ohne die Soundpioniere der siebziger und achtziger Jahre gäbe es sie vermutlich gar nicht. Dass die Wiederentdeckung des „Krautrock“ ebenfalls über England, und vor allem über das vom ehemaligen The Teardrop Explodes-Sänger Julian Cope geschriebene Buch „Krautrocksampler - One Head's Guide to the Great Kosmische Musik - 1968 Onwards“ von 1995 geschah, ist auch ein Teil dieser Geschichte.

Tom Dorow

Details

Originaltitel: Bunch of Kunst
Deutschland 2017, 103 min
Sprache: Englisch
Genre: Biografie, Dokumentarfilm, Musikfilm
Regie: Christine Franz
Drehbuch: Christine Franz
Kamera: Christine Franz
Darsteller: Andrew Fearn, Sleaford Mods, Steve Underwood
Kinostart: 31.08.2017

IMDB

Vorführungen

Keine Programmdaten vorhanden.

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