Neue Notiz
Blitz
Einfache Leute im Bombenkrieg
McQueen zeichnet ein differenziertes Bild der Erfahrung einfacher Leute im Bombenkrieg. Es gab Rassismus, Plünderungen, Upper-Class-Partys, die mit einem Schlag endeten, es gab tapfere Luftschutzmänner, die auch Feuer bekämpften und für Anstand in den Schutzräumen sorgten. Und es gab zahlreiche zivile Opfer.
Als „the Blitz“ bezeichnen Briten die deutschen Luftangriffe auf London und andere britische Städte vom September 1940 bis zum Mai 1941. Die Erzählung von der stoischen Haltung der britischen Bevölkerung, dem „Blitz Spirit“ ist Großbritannien ein ähnlicher nationaler Mythos geworden, wie die entschlossene Tapferkeit der Trümmerfrauen in Deutschland.
McQueen blättert sein Panorama Londons während der Bombenangriffe am Beispiel einer Familie aus der Arbeiterklasse auf. Rita (Saoirse Ronan) lebt mit ihrem neunjährigen Sohn George (Elliot Hefferman) und Großvater Gerald („Modfather“ Paul Weller!) in Stepney im Osten Londons, nahe den Docks, die das erste Angriffsziel der deutschen Bomber waren. Georges Schwarzer Vater Marcus wurde nach einem Überfall, bei dem er das Opfer war, deportiert. Nun soll George mit vielen anderen Londoner Kindern aufs Land evakuiert werden. Er will nicht weg, ist beim Abschied fies zu seiner Mutter, schämt sich und springt schließlich aus dem fahrenden Zug. Unverletzt versucht er, zurück nach London zu gelangen, was schnell, aber nicht ohne Verluste gelingt. Seine Odyssee durch Bunker, U-Bahnen führt George auch in die Hände einer Gang von Plünderern.
Währenddessen tritt Rita als Sängerin bei einem Fabrikkonzert der BBC auf. Nach ihrem Auftritt stürmen ihre Kolleginnen die Bühne: „We need shelters. Open the Underground“, rufen sie. Die Behörden waren zu Beginn des „Blitz“ nicht darauf vorbereitet, dass Menschen in der U-Bahn Schutz vor den Bomben suchten. McQueen Film zeigt die Katastrophe in der Balham Station, die nach einem Bombeneinschlag in die Gleisanlagen durch die darüber liegenden Abwasserkanäle überflutet wurde. 66 Menschen starben, auch weil U-Bahn-Eingänge abgesperrt waren. Rita meldet sich bei Mickey Davies – eine reale historische Figur, ein kleinwüchsiger Optiker, der zum beliebten und verehrten Gemeinde-Aktivisten in Stepney wurde und selbst Schutzräume, Suppenküchen und erste Hilfe für die Bewohner des Viertels organisierte.
McQueen zeichnet ein differenziertes Bild der Erfahrung einfacher Leute im Bombenkrieg. Es gab Rassismus, Plünderungen, Upper-Class-Partys, die mit einem Schlag endeten, es gab tapfere Luftschutzmänner, die auch Feuer bekämpften und für Anstand in den Schutzräumen sorgten. Und es gab zahlreiche zivile Opfer.
BLITZ zeigt auch, dass McQueen sich zu einem souveränen Ensemble- und Massenszenen-Regisseure entwickelte hat. BLITZ sieht sensationell aus, jede Szene ist mit Präzision und Leidenschaft inszeniert. Ein Jazz-Club vor dem Krieg, in dem Rita und Georges Vater Marcus feiern, erinnert nicht zufällig an Roger Tiltons legendäre Kurzdoku JAZZ DANCE (1954). Die gleichen Dance-Moves, die gleiche Kamera dicht am Boden fängt die Rasanz und den Enthusiasmus der Tänzer und Tänzerinnen ein. Eine glamourösere Jazz-Party in einem Tanzpalast inszeniert McQueen mit einer schwebenden Steadycam-Fahrt, die an die berühmte Clubszene in Scorseses GOOD FELLAS erinnert. Die Panoramen des brennenden und zerstörten Londons sind natürlich CGI, aber sie wirken überzeugend. Dagegen vermeidet McQueen die üblichen Luftkrieg-Tropen: Der militärische Teil des Kriegs wird nur durch einzelne Szenen einzelner fallender Bomben angedeutet.
BLITZ Ist ein grandioser Wurf, der einen offiziellen Kinostart verdient hätte. Stattdessen läuft der Film in „ausgewählten Kinos“.
USA/Großbritannien 2024, 120 min
Sprache: Englisch
Genre: Historienfilm, Kriegsfilm, Drama
Regie: Steve McQueen
Drehbuch: Steve McQueen
Verleih: Apple TV+
Darsteller: Saoirse Ronan, Elliott Heffernan, Harris Dickinson
Kinostart: 07.11.2024
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