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Neue Notiz

Berlin Alexanderplatz (2020)

Dämonische Leinwand

In Burhan Qurbanis neuer Adaption von Döblins „Berlin Alexanderplatz“ wird Franz Biberkopf zu Francis, einem Migranten aus Guinea-Bissau, der sich für den Ertrinkungstod seiner Frau im Mittelmeer verantwortlich fühlt, und deshalb ein guter Mensch werden will.

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Burhan Qurbanis Adaption des Montage-Romans von Alfred Döblin ist die dritte Verfilmung des Stoffs. Sowohl der Film von Piel Jutzi nach Döblins eigenem Drehbuch von 1931 als auch Rainer Werner Fassbinders lange Version von 1980 waren ganz auf der Höhe ihrer Zeit. Jutzis brutale Montagen, Fassbinders Überführung des Textes in ein distanziertes Melodram, das gleichzeitig Döblins Sprache und Form viel Raum gab – das ist eine mächtige Tradition, an die man sich erst einmal heranwagen muss.
Qurbani setzt auf einen überhöhten, beinahe expressionistischen Stil, der die Handlung in ein Film-Berlin verfrachtet, das mehr Ausdruck als Darstellung unterschiedlicher Lebenswelten in der heutigen Großstadt ist. Franz Biberkopf wird zu Francis (Welket Bungué), einem Migranten aus Guinea-Bissau, der sich für den Ertrinkungstod seiner Frau im Mittelmeer verantwortlich fühlt, und deshalb ein guter Mensch werden will – und ist damit stärker als der Totschläger und Vergewaltiger Franz Biberkopf auch Sympathieträger. Er arbeitet als illegal beschäftigter Tagelöhner in einer Fabrik, bis der Kleinkriminelle Reinhold in der Geflüchteten-Unterkunft erscheint, und viel Geld für wenig Arbeit verspricht. Francis wird zu Reinholds rechter Hand beim Drogenhandel in der Hasenheide, und folgt ihm in die kriminelle Unterwelt um den Gangsterboss Pums (Joachim Król). Diese Welt mehr oder weniger organisierter Kriminalität verbindet Qurbani mit der queeren Partyszene Berlins, die in ihrer Fremdheit für Francis die Eingangskapitel aus Döblins Roman ersetzt, in denen Biberkopf von Juden im Scheunenviertel wieder aufgepäppelt wird. Welket Bunguès Francis ist ein großer, wuchtiger Mann, der einen brüterischen Mittelpunkt im Panoptikum des Films darstellt. Vor allem Albrecht Schuch als verwachsener, psychopathischer Reinhold, spielt dagegen, als sei er direkt der dämonischen Leinwand eines deutschen Stummfilms der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts entsprungen. Qurbani zielt auf eine brachiale, alptraumhafte Form, in der manchmal auch mit wilder Entschlossenheit zusammengeführt wird, was wenig miteinander zu tun hat, was durchaus Döblins Formsprache entspricht. Es gibt Filme, deren Bilder man schnell wieder vergisst. Die exaltierten Szenen aus BERLIN ALEXANDERPLATZ bekommt man nicht so schnell wieder aus dem Kopf.

Tom Dorow

Details

Originaltitel: Berlin Alexanderplatz
Deutschland/Niederlande 2020, 183 min
Sprache: Deutsch, Englisch, Französisch
Genre: Drama, Literaturverfilmung, Großstadtfilm
Regie: Burhan Qurbani
Drehbuch: Martin Behnke, Alfred Döblin, Burhan Qurban
Kamera: Yoshi Heimrath
Schnitt: Philipp Thomas
Musik: Dascha Dauenhauer
Verleih: eOne
Darsteller: Welket Bungué, Jella Haase, Albrecht Schuch, Joachim Król, Annabelle Mandeng
Kinostart: 16.07.2020

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