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Araf – Somewhere in Between

Jugendliche im Fegefeuer

In ARAF zirkelt die Regisseurin Yesim Ustaoglu die engen Spielräume ab, in denen Jugendliche aus der Arbeiterschicht sich bewegen. Vor allem das Leben der Frauen ist konstanter Überwachung unterworfen. Die jungen Männer haben mehr Bewegungsfreiheit, aber auch auf sie warten Militärdienst, Heirat, armselige Lohnarbeit.

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Das türkische ARAF übersetzt das Internetlexikon mit „Fegefeuer“ oder „Purgatorium“. Der englische Titel SOMEWHERE IN BETWEEN drückt die Situation etwas weniger harsch aus, als Zwischen- oder Übergangszustand. Zu Beginn des Films scheint einem der englische Titel zutreffender. Es ist nicht schön in dem kleinen, ungemütlich verregneten Industriestädtchen, in dem die beiden jungen Protagonisten Zehra (Neslihan Atagül) und Olgun (Baris Hacihan) wohnen. Beide arbeiten in einem Restaurant an der Durchfahrtsstraße. Sie schuftet lange Stunden hinterm Tresen, ihre beste Freundin Derya arbeitet in der Küche und Olgun räumt das Geschirr ab. Abends nehmen sie den Kleinbus zurück in die Stadt, dann kommt nur noch Fernsehen, Computerspielen, Streit mit der Mutter, die Zehra vorwirft, zu wenig Geld nach Hause zu bringen. Olgun träumt vom großen Geld, Haus und Auto, Zehra will nur weg. Einmal gehen sie aus. „Kommst Du nach der Arbeit ins Einkaufszentrum ein bisschen abhängen“ fragt Olgun Zehra. Es ist ein tristes Kleinstadtleben, aber durchaus nicht die Hölle. Das ändert sich, als Zehra sich verliebt. Auf einer Hochzeit tanzt sie mit dem schweigsamen LKW-Fahrer Mahur. Sie sieht ihn wieder, hat Sex. Als sie ihrer Freundin erzählt „Er liebt mich. Wir werden zusammen weggehen“, schüttet die sich aus vor Lachen. Dann wird Zehra ungewollt schwanger und das Leben der Beteiligten tatsächlich zum Fegefeuer.
In ARAF zirkelt die Regisseurin Yesim Ustaoglu (PANDORA’S BOX) die engen Spielräume ab, in denen Jugendliche aus der Arbeiterschicht sich bewegen. Vor allem das Leben der Frauen ist konstanter Überwachung unterworfen. Die jungen Männer haben mehr Bewegungsfreiheit, aber auch auf sie warten Militärdienst, Heirat, armselige Lohnarbeit. Zehras und Olguns Leben ist vorgezeichnet in ihren Eltern, und deren Beispiel ist wenig ermutigend. Eine kurze Szene bringt das Geschlechterelend auf den Punkt. Olgun kommt von der Arbeit nach Hause und setzt sich vor den Fernseher. Nebenan sitzen seine Eltern am Abendbrottisch. Der Vater fragt „Warum isst der Junge denn nichts?“, die Mutter beschützt „Lass den Jungen in Ruhe“. Dann ist wieder Stille. Nach einiger Zeit steht der Vater schweigend auf und geht aus dem Haus. Dann steht auch Olgun auf und flüchtet zu seinen Freunden. Im Hintergrund sitzt die Mutter immer noch am Küchentisch. Es gibt keinen Ort an den sie flüchten könnte. Nicht abends, nicht alleine.
Noch ist Olguns und Zehras Leben nicht derartig festgefahren, noch befinden sie sich in einem melancholischen Zwischenzustand. Von den Zwängen des Kindseins und den Bindungen an die Eltern lösen sie sich gerade, die Zwänge des Erwachsenseins sehen sie bestürzt auf sich zukommen. Die Sehnsucht nach Ausbruch, nach einem anderen Leben ist überwältigend, aber ein anderes Leben scheint kaum denkbar. Der Regen, der die Scheiben entlangläuft versperrt die Sicht, der Schneematsch den Weg und der einzige weite Blick des Films richtet sich zurück auf die Stadt, aus der beide kommen. Selbst die Straße und die Fernlastwagen die täglich an der Raststätte halten künden nicht von Wegen, die in eine andere Welt führen, sondern von den Mühlen des Alltags. Wie die Aufnahmen von rauchenden Schornsteinen und glühender Schlacke bedeuten sie vor allem eins: Arbeit.
Am Ende des Films haben Zehra und Olgun auch das Ende dieses kurzen Lebensabschnittes erreicht. Was danach kommt, lässt Ustaoglu offen. Der Himmel ist nicht ausgeschlossen, die Hölle scheint aber wahrscheinlicher.

Hendrike Bake

Details

Originaltitel: Araf
Deutschland/Frankreich/Türkei 2012, 124 min
Genre: Drama
Regie: Yesim Ustaoglu
Drehbuch: Yesim Ustaoglu
Kamera: Michael Hammon
Schnitt: Mathilde Muyard
Musik: Marc Marder
Verleih: One
Darsteller: Özcan Deniz, Nihal Yalçin, Baris Hacihan, Nelishan Atagül, Yasemin Conka
Kinostart: 29.05.2014

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IMDB

Vorführungen

Keine Programmdaten vorhanden.

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