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Als wir träumten

Verloren in der Nachwendezeit

Nach dem Bestseller von Clemens Mayer erzählt Dresen in ALS WIR TRÄUMTEN von einer Jungen-Jugend-Clique, die im Leipzig der Nachwendezeit austickt. Endlos torkeln die vier durch die Straßen, rasen mit geklauten Autos durch die Nacht und zerschlagen Sachen, angetrieben von irgendetwas, dass sich einerseits wie Spaß an der neuen Freiheit und andererseits wie Panik vor der großen Sinnlosigkeit des neuen unbekannten Lebens anfühlt.

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Nach dem Bestseller von Clemens Mayer erzählt Andreas Dresen in ALS WIR TRÄUMTEN von einer Jungen-Jugend-Clique, die im Leipzig der Nachwendezeit austickt. Der Erzähler Dani ist mehr so der stille und zarte Typ, Rico ist der Draufgänger, der alle antreibt und dessen Kraft daraus erwächst, dass er kaum Angst hat und keine Grenzen kennt, Mark kommt von den Drogen nicht mehr runter, Paul trägt Brille und kauft West-Porno-Hefte, und Pitbull ist ein bisschen schlicht. Die Gang hängt rum, schleppt Kohlen gegen Schnaps, beklaut die Oma im Hinterhaus, gründet einen Club und schlägt sich mit Neonazis. Vor allem aber wird gesoffen und eingeworfen, was das Zeug hält. Endlos torkeln die vier durch die Straßen, rasen mit geklauten Autos durch die Nacht und zerschlagen Sachen, angetrieben von irgendetwas, dass sich einerseits wie Spaß an der neuen Freiheit und andererseits wie Panik vor der großen Sinnlosigkeit des neuen unbekannten Lebens anfühlt.

Dresen inszeniert den kompletten zweistündigen Film als eine Art Erinnerungsrausch. Alles beginnt in einem kaputten Kino. Dani sucht dort nach Mark, der unsichtbar als Drogenwrack in einer Ecke hockt. Die wilde Zeit ist da schon fast vorbei, aber plötzlich springt der Projektor an und erinnert an das Stroboskoplicht unzähliger Partys. Die Vergangenheit beginnt in lose zusammenhängenden Episoden noch einmal abzulaufen. Die einzelnen Kapitel tragen knallbunte Bildzeitungs-Überschriften wie “Straßenköter” oder “Mord in Deutschland”, die Geschichten dazu sind schmutzig grau und betont hart. Dazwischen gibt es Rückblenden, die noch weiter zurückführen in eine sozialistische Kindheit, in der alles bis ins Kleinste reglementiert ist und die dabei so knallbunt-sonnig aussieht wie die TRUMAN SHOW.

Mit ALS WIR TRÄUMTEN begibt sich Andreas Dresen, der sich seinen Namen mit einfühlsamen, detailliert beobachteten Alltagsgeschichten wie HALBE TREPPE, WOLKE 9 oder HALT AUF FREIER STRECKE gemacht hat, auf neue Wege. Er dreht mit einem Team junger, noch wenig bekannter Schauspieler, experimentiert mit fremdem Material, lässt Lücken und inszeniert wilder, bunter, mutiger und filmischer als je zuvor. Er begibt sich auf fremdes Terrain und berichtet von einer Szene, die er weniger gut kennt. Er versteht und verzeiht nicht alles. Gerade diese Herausforderung hat Dresen gereizt: „… der Roman (hat) etwas, das ich nicht einbringen kann: Er bringt das grundsätzlich Anarchisch-Böse mit. Ich bin gegenüber diesen Jungs ein kleinbürgerlicher Spießer. Man sucht also einerseits nach dem, was einem selbst entspricht und andererseits nach der Komplementärfarbe. Ich will durchaus härteres Kino machen, weil es besser der Welt entspricht, in der wir leben.“

In ALS WIR TRÄUMTEN ist Schluss mit der Freundlichkeit. Damit geht der gut etablierte Regisseur ein Wagnis ein und tatsächlich ist manches dann auch etwas holprig ausgefallen. Rausch ist von rauschhafteren Regisseuren wie Gaspar Noé oder Darren Aronofsky schon eindrucksvoller inszeniert worden. Bei Dresen besteht er vor allem aus Stroboskoplicht und wilden Autofahrten. Einige der Figuren, vor allem die wenigen Frauen, sind sehr schablonenhaft ausgefallen. Andere, wie Mark und Pitbull, entfalten dagegen eine beachtliche Vielschichtigkeit. Gerade von Marcel Heuperman, der Pitbull spielt, den Mitläufer und Drogendealer, den Typen der immer im Hintergrund bleibt, den alle brauchen aber nicht mögen und dem keiner ein Herz zutraut, hätte man gerne mehr gesehen.

Es gibt Einiges zu entdecken in ALS WIR TRÄUMTEN, nicht zuletzt einen faszinierenden Moment in der jüngsten deutscher Vergangenheit, über den bisher noch wenig zu sehen war. Und es ist schön, dass Dresen ihn mehr anteasert als aufarbeitet und damit Raum lässt für viele weitere Geschichten.

Hendrike Bake

Details

Deutschland 2015, 117 min
Sprache: Deutsch
Genre: Drama
Regie: Andreas Dresen
Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase
Kamera: Michael Hammon
Verleih: Pandora Filmverleih
Darsteller: Henning Peker, Dorothea Walda, Pit Bukowski, Peter Schneider, Gerdy Zint, Joel Basman, Ruby O. Fee, Merlin Rose, David Berton
FSK: 12
Kinostart: 26.02.2015

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