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8:30

Paranoider Stillstand

Ein Vertreter wird einer Zeit-Raum-Blase gefangen, in der die Uhren um 8 Uhr 30 stillstehen. Zwischen Fertighäusern, absurden TV-Szenarien und Google Maps aktualisiert sich der amerikanische Traum als ein paranoider Stillstand in einer perfekt vermessenen Welt.

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Vier Vertreter werden in einer suburbanen Wüste ausgesetzt, um Sicherheiten zu verkaufen. Drei reisen unverrichteter Dinge wieder ab, einer bleibt zurück und verbringt die Nacht bei einer potentiellen Kundin. Der Auftrag wird zur Sinnsuche, doch Sinn gibt es hier nicht zu finden - weder in der Vorstadt noch in der eigenen Existenz. Damit wäre die Handlung von 8:30 erzählt, und mehr benötigen Laura Nasmyth und Philip Leitner auch nicht für ihre feine Kritik des globalen Kapitalismus, eingebettet in eine sterile und wirkungsvolle Ästhetik und ausgestattet mit trockenem Witz.
Der anonyme Handelsvertreter (Florian Nolden) irrt zwischen Fertighäusern und noch mehr Fertighäusern umher, auf der Suche und auf der Flucht gleichermaßen, gefangen in einer sonnenverbrannten Zeit-Raum-Blase, in der die Uhren um 8 Uhr 30 stillstehen und die Züge immer nur zurück zum Ausgangspunkt führen. Sein Blick haftet an immerzu laufenden Fernsehern in Ladenfronten und Diners, ausdruckslos raucht er seine E-Zigarette. Dann steht er wieder in der Mitte eines Kreisverkehrs, ein Symbol moderner Isolation, ein hochaufragender Firmensitz drohend im Hintergrund. Und Sendemasten überall, die Gewährleistung totaler Reichweite und Erreichbarkeit. Solche Symbolik scheint etwas abgeschmackt, 8:30 bleibt jedoch subtil und ausdrucksstark in seinen filmischen Mitteln. Eine ständige Entfremdung zeigt sich auch im Bild, das zwischen hochauflösenden, stilistisch beeindruckenden Kompositionen, verpixelten Abstraktionen und plötzlichen Sprüngen in absurde TV-Szenerien - irgendwo zwischen David Lynch und Helge Schneider - wechselt. Kritischer und künstlerischer Anspruch erliegt hier nicht der typischen Verbissenheit des deutschen Kinos, sondern wird leicht und experimentell vermittelt. Verspielt löst 8:30 das Versprechen politisch ambitionierter Kunst ein, komplexe Zusammenhänge ästhetisch erfahrbar zu machen und ein Verständnis jenseits rationalistischer Aussagenlogik zu ermöglichen.

Yorick Berta

Details

Österreich 2017, 70 min
Genre: Drama
Regie: Laura Nasmyth, Philip Leitner
Drehbuch: Laura Nasmyth, Philip Leitner
Kamera: Mario Minichmayr
Schnitt: Thomas Schneider, Laura Nasmyth
Musik: David Schweighart
Verleih: dejà-vu film
Darsteller: Florian Nolden, Doris Hess, Stefan Ried, Patrick Topitschnig, Angelica Castello
Kinostart: 02.08.2018

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