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Interview, Personen

„Es gibt eine Scheu vor den ganz alltäglichen Geschichten“

Interview mit Marie Kreutzer zu WAS HAT UNS BLOSS SO RUINIERT

INDIEKINO BERLIN: Wie ist die Idee zu WAS HAT UNS BLOSS SO RUINIERT entstanden?

Marie Kreutzer: Das war eigentlich gar nicht meine Idee, sondern die meines Produzenten. In dieser Zeit war meine Tochter etwa in dem Alter wie die Kinder im Film. Ich habe auf die Finanzierung von GRUBER GEHT gewartet, meinem zweiten Kinofilm, und war halt sehr viel mit ihr allein, am Spielplatz und so weiter. Er hat dann vorgeschlagen: schreib‘ doch etwas über Eltern in der Stadt, dazu gibt es überhaupt nichts. Und dann habe ich mir das, eigentlich mehr weil ich wirklich nichts anderes zu tun hatte, überlegt und aus der Situation heraus, in der ich war, angefangen, zu schreiben.

Der Film wirkt tatsächlich sehr alltagsnah, so als ob die Situationen erlebt oder beobachtet wurden. Können sich Ihre Freunde in dem Film wieder finden, wissen sie wer sie sind oder wo ihre Geschichten eingeflossen sind?


Es gab schon für die eine oder andere Figur ein Vorbild, das waren aber keine engen Freunde und ich glaube, die würden sich vermutlich auch nicht wieder erkennen. Eine gute Freundin, die Französin ist, hat vorher, wenn ich ihr von dem Film erzählt habe, immer Angst gehabt, dass sie das Vorbild für Mignon ist, aber sie ist so anders, dass sich das jetzt auch in Wohlgefallen aufgelöst hat. Aber es gibt eine Nebenfigur, die ich jetzt nicht nennen werde, die wirklich 1 zu 1 aus meinem Leben ist, und die hat sich auch nicht erkannt. Es gibt ja die Theorie, dass sich die Leute sowieso nicht erkennen, wenn man sie schreibt, oder spielen will. Es ist mir niemand böse, sagen wir mal so.

Gibt es eine Person oder einen Aspekt, der Ihnen persönlich am nächsten oder am wichtigsten ist?

Es gibt in mehreren Personen etwas von mir oder Themen, die mich in dieser Phase beschäftigt haben. Aber bei der Stella habe ich beim Casting gemerkt, dass sie offenbar mehr mit mir zu tun hat, als andere Figuren, weil es mir schwerer fiel, sie zu besetzen. Wir haben 25 Frauen in nähere Erwägung gezogen und ich hatte oft das Gefühl, dass sie sie als Nervensäge oder fast ein bisschen depressiv anlegen, was mir überhaupt nicht gefallen hat. Es war mir ganz wichtig, dass man die Stella verstehen kann und da habe ich mich schon gefragt, wie viel sie mit mir zu tun hat und ob ich vielleicht diese Nervensäge bin, die immer nur jammert. Aber Stella ist nicht ich, auch wenn das hier manchmal so gesehen wurde, weil sie mir ein bissl ähnlich schaut.

Ines ist die, die sagt, was wir uns nicht zu sagen trauen

Es gibt in ihrem Film nur die drei Paare und wenig drum herum – keine Eltern, Kollegen oder kinderlosen Freunde.

Die kinderlosen Freunde verschwinden ja in dieser Zeit. Natürlich gibt es vereinzelt Abende mit kinderlosen Freunden aber eigentlich ziehen die sich zurück. Die Großeltern waren dagegen mal Thema im Drehbuch, aber ich hatte dann das Gefühl, es sprengt den Rahmen und im Nachhinein bin ich ganz froh darüber. Man hätte natürlich ganz viel machen können, weil es ja ein Teil des Kinderkriegens ist, dass man sich mit den eigenen Eltern auseinander setzt und vielleicht auch mit den Schwiegereltern. Aber das führte mir dann zu weit: Ich wollte bei diesem Freundeskreis bleiben, weil es mir ja auch darum ging, wie sich die Freundschaft verändert, mehr als um die Familie.

Bei zwei von den drei Paaren sind die Väter sehr engagiert. Ich hatte auch den Eindruck, dass Luis mehr machen würde, wenn er denn dürfte. Ist die traditionelle Rollenverteilung für Sie kein Thema mehr?

Im Leben ist die konventionelle Rollenverteilung ein Riesenthema, weil sie - auch in diesem Milieu - sofort wieder greift, sobald ein Kind da ist. Es sind ja doch meist die Frauen, die beruflich zurück stecken und viel mehr an Zeit und Energie in die Kindererziehung stecken. Ich kenne allerdings auch diesen Fall wie bei Mignon und Luis, dass die Frauen gar nicht so richtig wollen, dass die Männer sich engagieren und sich lustig machen, wie sie die Kinder wickeln. Gleichzeitig kenne ich Frauen, die sehr wohl fordern, dass der Mann teilnimmt.
Also ja, es ist ein Thema, aber in meinem Film wollte ich das nicht so sehr in den Fokus rücken. Ich wollte selbstverständlich von Paaren erzählen, wo das halt ein bissl anders ist, weil ich denke, dass auch das zur Verantwortung als Geschichtenerzähler und Filmemacher gehört. Genauso, wie man ganz selbstverständlich von homosexuellen Paaren erzählen soll, ohne das jedes Mal im Kontext der Homosexualität zu tun. Oder, wie ich es wichtig finde, dass man Frauenrollen in dem Alter besetzt, in dem sie geschrieben sind und nicht mit 20-jährigen Schönheiten. Ich möchte Beziehungen so zeigen, wie sie sind, aber auch zeigen, wie sie anders sein könnten - ohne zu behaupten, dass da alles rund läuft und perfekt ist - und das es ganz selbstverständlich auch Väter gibt, die diese Rolle übernehmen wollen. Ich glaube allerdings nicht, dass der Luis mehr machen wollen würde.

Sehr erfrischend fand ich Ines, deren Haltung ja erstmal ist: Ich will das alles gar nicht.

Die Menschen reagieren sehr stark auf sie und die meisten mögen sie sehr gerne. Sie ist die, die sagt, was wir uns nicht zu sagen trauen, alles, was man sich in diesen Situationen schon einmal gedacht hat. Vielleicht nicht ganz alles - ich habe meinem Mann bei der Geburt nicht sagen wollen: „Ich liebe dich nicht“ –, aber im Vergleich zu den anderen Eltern sagt sie halt Dinge, die man sonst herunterschluckt.

In den Eltern-Kind-Filmen, die man so kennt, geht es immer gleich um ein ganz großes Problem

Mein Eindruck ist, dass obwohl in den Medien Kinder immer mehr Thema sind, die Realität des Kinderhabens im Film kaum vorkommt. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Der erste Grund ist sehr pragmatisch: Es war auch bei meinem Drehbuch von Anfang an ein Riesenthema, wie wir das drehen werden. Sobald man mit Kindern arbeitet, wird es so viel unberechenbarer und schwerer. Weil das wirklich eine der größten Hürden ist, haben wir sogar kurz überlegt, einen Film zu machen, in dem man die Kinder gar nicht sieht. Aber das war mir dann zu artifiziell. Dann gibt es natürlich auch Leute – ich bin keiner von denen – die sagen: ich will nicht ins Kino gehen und dort meine Alltagsprobleme sehen. Ich will zwei spannende Stunden verbringen, ich will woanders hin. Als Regisseur fürchtet man sich ein bisschen davor, einfach nur Alltagsgeschichten und Alltagsprobleme zu erzählen. In den Eltern-Kind-Filmen, die man so kennt, geht es immer gleich um ein ganz großes Problem, wie in WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN, wo es um ein psychopathisches Kind geht. Das ist dann gleich so ein richtiger Wow-Plot, wo es wieder nicht um den Alltag mit Kindern geht. Es gibt eine Scheu vor den ganz alltäglichen Geschichten, wobei das lustig ist, denn alltägliche Liebesgeschichten sehen wir ja dauernd.

Dabei gehen die Konflikte, die die Paare haben, durchaus tief. Da hätte man nur noch ein bisschen schrauben müssen, und es hätte ein Drama werden können. War WAS HAT UNS BLOSS SO RUINIERT von Anfang an als Komödie geplant?

Ja, der Film war schon immer als Komödie gedacht und er war im Buch und auch in der ersten Schnittfassung sogar komischer. Aber ich hatte dann das Gefühl, man unterhält sich gut und man kann das auch irgendwie halbwegs verfolgen, aber man ist emotional nicht an die Geschichte gebunden. Deshalb bin ich dann im Schnitt – es ist eh faszinierend, was im Schnitt immer noch geht – mehr in diese Konfliktsituationen, in die Paargeschichten, auch in die Nachdenklichkeit, reingegangen. Ich hatte dann erst das Gefühl, das ist jetzt wirklich mein Film. Der Film hat sich also tatsächlich von der Komödie wegentwickelt.

Es gibt eine Szene im Film, in der Mignon sagt „Man könnte auch eine Serie aus uns machen“ und das finde ich eigentlich auch. Gibt es Pläne in dieser Richtung?


Wenn wir uns mit den Schauspielern treffen, reden wir immer wieder darüber, was in der Fortsetzung passieren soll - weil wir irgendwelche Situationen beobachtet haben, oder weil man auch mal die Schwiegereltern sehen will und so. Das ist halb im Spaß, halb ernst, ich habe sogar schon mal etwas geschrieben, aber es ist jetzt überhaupt nicht aktuell. An eine Serie habe ich nie gedacht, weil ich das Gefühl habe, dass es beim ORF, dem österreichischen Fernsehen, keinen Platz dafür gäbe. Ich habe im Sommer meinen ersten Fernsehfilm gedreht und das ist ein ganz anderes Arbeiten. Es sind andere Strukturen, andere Arbeits- und Entscheidungsprozesse. Da müsste ich viel von der Kompromisslosigkeit, mit der ich diesen Film gemacht habe, hergeben.

Vielleicht habe ich auch an eine Serie gedacht, weil wir es inzwischen eher gewöhnt sind, dass Alltag in Serien verhandelt wird, wo es Zeit für langsame Entwicklungen gibt.

Das stimmt, ja, und es gibt auch so viele großartige Serien, wo das wahnsinnig gut funktioniert. Haben Sie „Easy“ gesehen? Es sind nur etwa 10 Folgen, alles einzelne Geschichten, die lose verknüpft sind und alle in einer Stadt spielen - die mochte ich wahnsinnig gern. Das ist auch so richtig herrlich unspektakulär, aber so schön erzählt. So etwas würde im deutschsprachigen Raum niemand produzieren, glaube ich.

Arbeiten Sie bereits an einem neuen Projekt?

Ich bin in Vorbereitung zu einem Film, den ich Anfang nächsten Jahres drehen möchte. Ein Drama, fast schon ein Psychothriller über zwei Schwestern, von denen eine psychisch krank ist. Das ist eine ganz andere Geschichte, sehr düster, und es gibt es im Unterschied zu WAS HAT UNS BLOSS SO RUINIERT wahnsinnig viel zu recherchieren, damit es nicht falsch wird. Und dann habe ich natürlich im vergangenen Jahr für ORF und SWR die Familienkomödie DIE NOTLÜGE gedreht, für die Pia Hierzegger, die in WAS HAT UNS BLOß… die Ines spielt, das Drehbuch geschrieben hat. Es ist wirklich ein schöner und lustiger Film geworden, der dieses Jahr in beiden Ländern ausgestrahlt wird.

Das Gespräch führte Hendrike Bake