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The Beatles: Eight Days a Week – The Touring Years

Kreischekstase um Garagenband

Ron Howards Dokumentarfilm zeigt Konzertausschnitte der Beatles von 1963 bis 1966, als die Beatles sich entschlossen, keine weiteren Live-Konzerte zu geben, und erzählt die Geschichte der Band in der Hochphase der Beatlemania.

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Vor 50 Jahren hörten die Beatles auf, Livekonzerte zu geben und wurden eine reine Studioband. Dass sich ein neuer Beatles-Film ausgerechnet auf die Zeit konzentriert, in der die Band live spielte, ist angesichts der Materiallage und der heutigen digitalen Bildbearbeitungsmöglichkeiten und Remaster-Technik plausibel. EIGHT DAYS A WEEK ist zum Teil typische Retro-Doku, bei der Promis erzählen, wie relevant die Band für sie gewesen ist, zum Teil Konzertfilm, zum Teil auch eine Neuinterpretation der Band als archetypisches Pop-Phänomen. Paradox an EIGHT DAYS A WEEK ist, dass der Film eigentlich die Geschichte eines Scheiterns erzählen muss, das sich proportional zur immer größeren Fan-Hysterie anbahnt. Die Beatles waren in den ersten Jahren eine Club-, Garagen- und Kellerband. Von den 815 Konzerten, die sie zwischen 1963 und 1966 gaben, fanden allein 292 im Liverpooler Cavern Club statt. Leider gibt es aus dieser Zeit nur einen relativ kurzen Ausschnitt im Film, wohl auch, weil das Repertoire damals zu großen Teilen aus Cover-Versionen bestand, und im Film nur Beatles-Eigenkompositionen gespielt werden. In diesen paar Minuten wird aber klar, wie die Beatles klingen konnten. Im kleinen Höhlenclub dröhnen die aufgerissenen, halligen Vox- und Fender-Bassman-Verstärker direkt in die Bauchdecke, die Snare patscht, der Gesang ist natürlich zu leise, weil alles so laut sein musste wie möglich. Befreiender Krach, während Mädchen versuchen, beim Tanzen vor der Bühne nicht zu sehr zu schwitzen und den an der Wand lehnenden Jungs das Kondenswasser auf die Ausgehklamotten tropft. Hier wusste man Bescheid, hier war man ganz weit vorn, am lautesten und am schönsten.

Eine Garagenband auf die Stadionbühne zu verpflanzen ist, gelinde gesagt, keine gute Idee. Und man kann remastern, wie man will, auf den großen Bühnen und in den Fernsehstudios klingen die Beatles selbst ziemlich mies. Das heißt nicht, dass es keinen Spaß macht, ihnen dabei zuzusehen, wie sie sich durch Versionen von „Yesterday“ und „Nowhere Man“ stolpern, während um sie herum die Kreischekstase tobt. Tatsächlich ist es bewundernswert, dass die Band unter den Umständen überhaupt live spielen konnte. Ringo Starr erzählt, dass er auf das Fußwippen der Jungs achten musste, um zu wissen, wo sie im Song gerade waren.

EIGHT DAYS A WEEK klappert natürlich die bekannten Stationen der Beatles-Karriere ab, den Auftritt in der Ed-Sullivan-Show, die Richard-Lester-Filme, die „Größer-als-Jesus“-Episode usw. Aber Regisseur Ron Howard (FROST/NIXON, RUSH) gelingt es außerdem, die Beatles als Produkt und Symptom der Zeit zu fassen. Brian Epstein steckte die Beatles in niedliche Anzüge und Chelsea-Boots („Beatles Boots“, sagte Paul McCartney), die freundlichen Liebesliedchen der ersten Platten richteten sich ausdrücklich an sehr junge Mädchen, die Typologie der Bandmitglieder (Paul: niedlich, John: klug, George: schüchtern, Ringo: quirky) ließ verschiedene Identifikationen zu, der Humor, die Schlagfertigkeit und der Widerspruchsgeist der Beatles überraschte die biederen Erwachsenen und appellierte an den gerade erwachenden rebellischen Geist einer sich gerade entwickelnden Jugendkultur. Die Beatles waren vollkommene Marke und standen zugleich für Authentizität, eine Kombination, von der Marketingagenturen bis heute träumen.

Für die Nachhaltigkeit des Erfolgs sorgte eine Entwicklung der Band, die mit dem Erwachsenwerden ihrer Teenie-Fans mithielt: von der naiven Liebe über die Desillusionierung zu komplizierteren Beziehungsformen und einem weiteren gesellschaftlichen Bewusstsein. Eine ähnliche narrative Kraft über die Band selbst war in späteren, ausdifferenzierteren Pop-Genres kaum möglich. Höchstens Madonna und Kanye West haben in den letzten Jahrzehnten vergleichbare Erzählungen hingelegt. Für Beatles-Fans ist EIGHT DAYS A WEEK eh unentbehrlich, wer sich sonst nicht für Mom-und-Dad-Musik interessiert, könnte Howards Film dennoch ganz interessant finden.

Tom Dorow

Details

USA/Großbritannien 2016, 120 min
Genre: Dokumentarfilm
Regie: Ron Howard
Drehbuch: Mark Monroe
Verleih: STUDIOCANAL
Darsteller: Paul McCartney, Ringo Starr, John Lennon
FSK: 6
Kinostart: 15.09.2016

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