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Wild Tales – Jeder dreht mal durch!

Bürger laufen Amok

Sechs verschiedene Rachefantasien entfaltet Damián Szifrón vor den Zuschauern. In sechs Episoden drehen ganz normale Bürger durch und laufen Amok. WILD TALES macht Spaß, wenn man Tarantino mag, auf makabren Humor steht und sich zudem gerne mal im Kino laut die Frage "What the fuck?!" stellen will.

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Irgendwas stimmt hier nicht, das merken wir schon zu Beginn. In kurzen, erlesenen und schnell geschnittenen Bildern begleiten wir eine junge Frau in ihren Flieger und fragen uns was wohl in dieser Passagiermaschine als nächstes passieren mag. Die Antwort: Erst mal nichts. Ein beiläufiges Gespräch entspinnt sich, und wie es der Zufall so will, kennen zwei Menschen den gleichen Mann mit dem Namen Pasternak. Die junge Frau war seine Ex-Freundin, eine andere Frau kennt ihn beruflich. Plötzlich mischt sich ein weiterer Passagier ins Gespräch - auch er kannte Pasternak. Merkwürdig nur, dass niemand der Beteiligten zur betroffenen Person ein besonders gutes Verhältnis hatte, sondern -das wird ziemlich schnell klar- alle auf die eine oder andere Art verbrannte Erde in seinem Leben hinterlassen haben. Als sich die nächste Person zu Wort meldet, die etwas zu Pasternak zu erzählen weiß, hört der Spaß langsam auf. Wie der erste von insgesamt sechs voneinander unabhängigen Kurzfilmen des argentinischen Regisseurs Damián Szifrón ausgeht, lässt der Titel schon anklingen - wild, unberechenbar und nicht gut jedenfalls.

Mit dieser filmischen wie inhaltlichen Wildheit sind in allen Geschichten auch immer eine Wut, ein unbezähmbares Verlangen nach Rache und Genugtuung der Personen und ein ziemlich verrückter Handlungsverlauf gemeint. WILD TALES macht Spaß, wenn man Tarantino mag, auf makabren Humor steht und sich zudem gerne mal im Kino laut die Frage "What the fuck?!" stellen will. Im zweiten Kurzfilm zum Beispiel blitzt Spielbergs Erstling DUELL auf, als sich zwei Autofahrer irgendwo im Nirgendwo auf der Straße und dann plötzlich unerwartet an einer Brücke hängend bis auf den letzten Zahn bekriegen. Das Drama kündigt sich an, nimmt dann aber doch noch drei Wendungen ins Absurde, sodass man -wie in allen anderen Episoden auch- nur laut lachen kann. What the fuck? - wie gesagt.

Das Wiedersehen mit dem Mann, der einst die Familie zerstörte, führt eine pragmatische Köchin in einem entlegenen Diner zu sehr konkreten Plänen, die tödlich enden sollen. Das falsch geparkte Auto eines Sprengungsexperten bringt einen gut situierten Mann an die Grenzen seines Bürokratieverständnisses. Für die Fahrerflucht eines Jungen aus gutem Hause soll der Gärtner verantwortlich gemacht werden, und schließlich gibt es während einer Hochzeitsfeier eine überraschende Entdeckung, die –nun sehr - wild endet. Wie immer bei Omnibus- oder Anthologie-Filmen haben nicht alle Geschichten den gleichen Drive oder die gleiche Stimmung, doch sobald man sich auf die herrlich gemeine (und extrem unterhaltsam inszenierte) Verarbeitung des bösen Themas Rache eingelassen hat, kann man sich getrost zurücklehnen und den Film, der auch im Wettbewerb von Cannes lief, in vollen Zügen genießen.

Ohne dass Damián Szifróns Film jemals wirklich ernsthaft würde, unternimmt er doch auch eine Bestandsaufnahme der argentinischen Gesellschaft. Denn wenn einem das Lachen erst mal im Hals stecken geblieben ist, geht es eben doch um die Arroganz der besitzenden Klasse, um die Selbstherrlichkeit der Männerwelt, um die Unmenschlichkeit eines Regierungsapparates und um die Selbstbehauptung von Frauen im Angesicht der Polizei oder der Familie des Ehemannes. Die Sozial- und Kulturkritik versteckt sich in einem filmischen Unterhaltungs-Bonbon, das zum Ende nochmal richtig an Fahrt gewinnt. Selten gab es, wie in der letzte Episode des Films, eine derart grandios gefilmte Hochzeitsgesellschaft und selten gab es eine derart amüsant gefilmte Dekonstruktion derselben. Schön, dass es zum Schluss nochmal die Frau ist, die richtig auf die Kacke haut.

Toby Ashraf

Details

Originaltitel: Relatos salvajes
Argentinien 2014, 122 min
Sprache: Spanisch
Genre: Komödie
Regie: Damián Szifron
Drehbuch: Damián Szifron
Kamera: Javier Julia
Schnitt: Pablo Barbieri Carrera, Damián Szifron
Musik: Gustavo Santaolalla
Verleih: Prokino
Darsteller: Darío Grandinetti, Osmar Núnez, Leonardo Sbaraglia, Ricardo Darín, Erica Rivas, María Onetto, Oscar Martínez, Rita Cortese, Nancy Dupláa, Julieta Zylberberg
FSK: 12
Kinostart: 08.01.2014

Website
IMDB

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