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Neben den Gleisen

Kioskgespräche

Ein Bahnhofskiosk in der Kleinstadt Boizenburg in Mecklenburg-Vorpommern im Herbst 2015. Täglich treffen sich hier ab fünf Uhr früh die Rentner, Schichtarbeiter und Fußballfans. Sie reden über die Arbeit und das Leben und über die Kriegsflüchtlinge aus Syrien, die täglich am Bahnhof ankommen.

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Um fünf Uhr morgens öffnet der „Kiosk am Bahnhof“ in Boizenburg. Dann fahren die ersten Züge nach Schwerin und Hamburg – Regionalzüge wohlgemerkt, der ICE rast ohne Pause durch. Der erste Gast im Kiosk ist meistens Michael. Er hat Diabetes und kann schlecht schlafen. Er kommt öfter am Tag. Danach kommen die Männer von der Nachtschicht, um sich am frühen Morgen ihr Feierabendbier zu genehmigen. Früher haben sie auf der Werft gearbeitet, heute schuften die meisten in der Trolli-Süßwarenfabrik oder im Schlachthof, sofern sie überhaupt noch Arbeit haben. Einer zeigt ein Foto seiner Kreissäge herum. „Ein gutes Teil. Hat zwei Handgriffe.“
Die durchreisenden Syrer fragen hier nach dem Weg zum Aufnahmelager in Horst und der HSV-Fanclub trifft sich unter der St. Pauli Fahne im Schankraum. Seit 25 Jahren betreibt Bernd seinen kleinen Kiosk, die Gäste in diesem kleinen Mecklenburger Mikrokosmos kennen sich alle und wenn ein Stammgast stirbt, stellt seine Frau Regina eine Kerze an seinem oder ihrem Platz auf. Der Filmemacher Dieter Schumann hat sich zu den Trinkern, den Pendlern, den Einsamen und den Fußballfans gesellt und sich dem Rhythmus angepasst. Manchmal sieht er nur zu, manchmal stellt er kurze Fragen, man merkt, er stört nicht, es ist OK, dass er da ist. Die Antworten fallen knapp und norddeutsch aus, nur einer plaudert munter los, aber der ist aus Nordhessen und hier hängen geblieben. Manchmal kommt Humor durch: „Ich habe mir die Fanseite vom HSV angesehen, man muss so einen Antrag ausfüllen, das ist eigentlich wie beim Arbeitsamt“. Manche Geschichten sind traurig. Es wird auch rassistische Scheiße geredet. Einer sagt, die Syrer sollen bloß nicht aufmucken, dann kommen ein paar vorbei und seine Freundin ruft ihnen ein paar freundliche Worte auf Arabisch hinterher. Sie hat einen Kurs besucht. Eine andere erzählt, die hätten ein Kind lebendig gegessen. Man weiß nicht ob das stimmt, sagt ihr Typ.

Hendrike Bake

Details

Deutschland 2016, 85 min
Genre: Dokumentarfilm
Regie: Dieter Schumann
Drehbuch: Dieter Schumann, Michael Kockot
Kamera: Michael Kockot
Musik: Bernhard Kübel
Verleih: Deutschfilm
FSK: 12
Kinostart: 06.04.2017

Website

Vorführungen

Keine Programmdaten vorhanden.

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