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Mr. Long

Reise ins Totenreich

Ein taiwanesischer Auftragskiller strandet in einer japanischen Vorstadt. Eifrig organisieren die ahnungslosen Anwohner Mr. Long, wie sie den Killer nennen, eine fahrbare Garküche, mit der er chinesischen Spezialitäten unter die Leute bringen kann.

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Die Kamera fährt an den als Pastell-Regenbogen ausgeleuchteten Fenstern von Nobelkaufhäusern der taiwanesischen Großstadt Kaohsiung vorbei, dann wird alles rot. Ein Schwenk von der Decke eines mit roten Lampions behängten Tempeleingangs führt zu einem Altar wo sich die Farben der Kaufhäuser in einem Blumenmeer wiederholen. Konsum, Blut, Todeskult, darum wird es in diesem Film gehen.
Dann schwenkt die Kamera nach rechts, und die schäbigen Hinterzimmer des Tempels kommen ins Bild, wo vier Gangster auf einen fünften warten, den sie verachten. Der Auftritt unseres Helden Mr. Long geschieht hinter dessen Rücken. Ein roter Blutfleck auf der weißen Kleidung, der Mann fällt nach vorn, dahinter steht ein in eleganter schwarzer Kleidung, irgendwo zwischen Kenzo und Kung Fu, gekleideter, großer, schlanker, sehr schöner Mann (Chen Chang). Long ist ein lautloser Killer, trotz einer auf ihn gerichteter Pistole steht außer ihm schnell niemand mehr. Danach geht er in ein Restaurant, an schwerfällig wirkenden, schwitzenden Gangster-Typen vorbei, die aussehen wie der Haufen, den er gerade massakriert hat und erstattet Bericht, während er und sein Boss Dim Sum zubereiten. Longs nächster Auftrag ist in Japan.
Dort geht alles schief, was schließlich dazu führt, dass sich Long schwer verwundet in einen Lastwagen flüchtet. Einer seiner Gegner blickt in die Ladefläche, auf der Long sich versteckt, sieht die Blutspuren am Boden, blickt hoch, flucht, und wendet sich ab. Der Lastwagen fährt ab, die Gangster blicken hinterher. Dann steht Long in seiner schwarzen Kleidung vor weißen Wänden, nur ein wenig Grün ragt durch einen Zweig im Hintergrund ins Bild. Eine typische Bifurkation, hier teilen sich zwei Interpretationswege, auf denen der Film gesehen werden kann. Ist Long noch einmal davon gekommen, war das eine typische zeitliche Ellipse? Natürlich nicht. Long ist tot. Was folgt, ist sein Weg ins Totenreich.
Long ist in einem Slum erwacht, einer verlassenen Wellblech-Siedlung, in der sonst nur Junkies vor sich hin dämmern. Aber wie aus dem Nichts erscheint ein kleiner Junge und liefert Long Zutaten für eine Suppe. Long findet einen Topf, Wasser und Salz, und gibt dem Jungen zu essen. Bald darauf erscheinen hilfreiche Geister, die an die Helferfiguren in Kafkas Erzählungen erinnern. „Nachbarn“, fröhliche, gut gesättigte Japaner tauchen auf, nerven ein bisschen, aber einer ist Eletriker, einer Tischler, einer Fleischer, einer hat einen Gemüsegarten. Geisterführer, Psychopompoi, die Long den Weg in die Unterwelt zeigen, und ihm dabei vorführen, was er verloren hat. Sie liefern Long eine neue Existenz, den Traum einer erfolgreichen Suppenküche vor einem buddhistischen Tempel. Während Long kocht, stehen sie immer daneben und sehen beglückt zu. Jedes Detail ist ein Rest von Longs wirklichem Leben, das längst zu Ende ist. Sabu entwirft die Fantasie eines gescheiterten Mannes, eines Toten, der sich auf dem Weg zum ewigen Frieden eine Alternativexistenz herbeifantasiert, in der er ein stiller, mitfühlender Mann ist, der auch dem kleinen Jungen ein Vater sein könnte.
Man kann den Film auch anders und gewöhnlicher sehen, wie immer im Fall einer Bifurkation. Long überlebt, trifft nette Leute und wird ein besserer Mensch, bis ihn die Vergangenheit einholt. Sabu hält diese Sichtweise halbwegs offen, aber manches bleibt dann unklar oder wirkt albern konstruiert. Den Schluss als etwas anderes zu sehen als den verschollensten und tiefsten Wunsch eines Toten, fällt mir schwer. Toller Film.

Tom Dorow

Details

Originaltitel: Ryu san
Japan/China/Taiwan/Deutschland 2017, 128 min
Genre: Action, Crime, Drama
Regie: Sabu
Drehbuch: Sabu
Verleih: REM - Rapid Eye Movies
Darsteller: Chen Chang
FSK: 16
Kinostart: 14.09.2017

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IMDB

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Keine Programmdaten vorhanden.

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