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Jimmy's Hall

Eine Geschichte vom Widerstand

1932, zehn Jahre nach dem Unabhängigkeitskrieg, kehrt der Sozialist Jimmy Gralton aus New York in den Nordwesten Irlands zurück. Als er den von ihm einst erbauten Gemeindesaal, die "Pearse-Connolly-Hall" wieder eröffnet, fängt die Verfolgung durch Kirche und Staat erneut an.

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Ken Loach, mittlerweile 78 Jahre alt, hat angekündigt, dass JIMMY’S HALL sein letzter großer Film ist. Man muss das nicht glauben. Seit 1967 hat Loach 35 Kinofilme im unnachahmlichen Loach-Stil gedreht, also fast jedes Jahr einen. Davon allein 12 gemeinsam mit Drehbuchautor Paul Laverty. Dass das film- und politikbessesene Duo jetzt aufhört, ist kaum vorstellbar. Sollte es aber tatsächlich so sein, ist JIMMY’S HALL ein großer Abgang.
Wie THE WIND THAT SHAKES THE BARLEY und LAND AND FREEDOM ist JIMMY’S HALL einer der sehr wenigen Filme Loachs und Lavertys, die nicht in der Gegenwart spielen. Der Film spielt in Irland 1932, der anglo-irische Krieg ist seit über zehn Jahren beendet und nach einer Phase des Bürgerkriegs und extremen Konservatismus erlebt Irland eine kurze Tauwetterperiode. In dieser Zeit kehrt Jimmy Gralton aus New York an seinen Geburtsort in County Leitrim im Nordwesten der Insel zurück. Vor zehn Jahren war der überzeugte Sozialist in die USA geflohen, nun scheint das politische Klima günstiger und Jimmy möchte seinen Eltern dabei helfen, den kleinen Hof zu bestellen. Wieder daheim, trifft er auf alte Weggefährten und Widersacher und auf eine neue Generation, die schon viel von ihm gehört hat. Die Jungen, für die es keinen Ort und außer der Kirche keine Ansprechpartner gibt, bitten ihn, den alten Tanz- und Gemeindesaal, den er einst begründete, wieder zu eröffnen, die heruntergekommene „Pearse-Connolly-Hall“. Jimmy zögert kurz – die Halle, in der neben Tanz und Weiterbildungsveranstaltungen auch republikanische Gerichtsverhandlungen abgehalten wurden, war ein Grund für seine Verfolgung und Flucht gewesen – und gibt dann nach. Die Halle wird renoviert und füllt sich wieder mit Leben. Jimmy bringt der Dorfjugend den Lindy Hop bei, andere unterrichten Kunst oder veranstalten Lesungen und auch die politischen Aktivitäten, wie der Schutz kleiner Pächter vor der Willkür der Landbesitzer, leben wieder auf. Die Aktivitäten werden misstrauisch beäugt, vor allem von Pater Sheridan, der die Teilnehmer der Tanzabende in seinen Sonntagspredigten verliest und verdammt. Schon bald ist Jimmy erneut auf der Flucht.
Jimmy Gralton und die „Pearse-Connolly-Hall“ hat es wirklich gegeben aber über Jimmys persönliche Lebensumstände und Details ist wenig bekannt. Das gibt Loach und Laverty die Freiheit, sich auszumalen, was für ein Mensch Jimmy wohl gewesen ist, Pater Sheridan als formidablen Gegenspieler aufzubauen und mit Oonah eine Jugendliebe hinzu zu erfinden. Das alles ist liebevoll ausgemalt, aufwändig historisch recherchiert und in großen Kinobildern verfilmt und unterscheidet sich dennoch vom Gros der Historienverfilmungen, die vorgeben, sich einer historischen Persönlichkeit anzunähern. Vielleicht, weil Loach und Laverty zwar Spaß daran haben, sich vorzustellen, wie Jimmy und seine Freunde wohl gewesen sein mögen, aber ihr Interesse woanders liegt. JIMMY’S HALL ist im Kern die Geschichte eines kleinen lokalen und kollektiven Projektes, das mit viel Ausdauer, Mut und vor allem Spaß Widerstand gegen die Übermacht von kirchlicher und staatlicher Autorität leistet. Jimmy mag Hauptperson, Anführer und Katalysator sein, aber die Halle, der freie Austausch und die gemeinsame Anstrengung sind das Zentrum des Films, wie überhaupt der Arbeit von Loach und Laverty. Das fängt bei der Entscheidung an, mit regionalen Schauspielern und unbekannten Gesichtern zu arbeiten und endet bei einer Kameraführung, die, oft in Halbtotalen, alle Darsteller einbezieht und Interaktionen wichtiger findet als Gesichter.
In einer Filmlandschaft, die von ONE CHANCE bis WOLFSKINDER bevorzugt persönliche Leidens- und Erfolgsgeschichten erzählt, sind die politisch fühlenden Filme von Loach und Laverty die seltene, herzerwärmende Ausnahme. Sie werden fehlen.

Hendrike Bake

Details

Frankreich/ Irland/ Großbritannien 2014, 109 min
Genre: Drama, Historienfilm
Regie: Ken Loach
Drehbuch: Paul Laverty
Kamera: Robbie Ryan
Musik: George Fenton
Verleih: Pandora Filmverleih
Darsteller: Jim Norton, Andrew Scott, Barry Ward, Simone Kirby, Brían F. O'Byrne
FSK: 6
Kinostart: 14.08.2014

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