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Ida

Melancholischer Roadtrip in Polen

Polen, Anfang der 60er Jahre. Die junge Nonne Ida erfährt, dass sie Jüdin ist. Gemeinsam mit ihrer Tante, einer überzeugten Sozialistin und Atheisten, macht sie sich auf die Suche nach dem Grab ihrer Eltern. Ein lakonischer, trauriger Roadtrip in wunderschönen Schwarz-Weiß-Bildern.

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Das erste, was an IDA auffällt, sind die Bilder: schwarz –weiß mit zartesten Grau-Abstufungen, fast quadratisch und jedes Einzelne so sorgfältig komponiert, als sei es eine Fotografie. Die Frau, die mit soviel Aufmerksamkeit porträtiert wird, ist Ida, eine junge polnische Nonne, die Anfang der 60er Jahre kurz vor ihrem Gelübde steht. Ihr Entschluss scheint klar. Ruhig und selbstbewusst bereitet sie sich auf die Zeremonie vor. Als sie von der Oberin aufgefordert wird, vor der großen Entscheidung noch einmal ihre Tante Wanda zu besuchen, ihre einzige Verwandte, folgt sie der Anweisung aus Gehorsamkeit, nicht weil es ihr ein Bedürfnis wäre. Tante Wanda stellt sich als lebenslustige Frau in den 40ern heraus. Sie hat gerade ihren Lover nach Hause geschickt und empfängt ihre Nichte im Negligé. Das erste Treffen ist kalt und förmlich, doch dann machen sich Wanda und Ida, die überzeugte sozialistische Staatsanwältin und die angehende Nonne, in das Heimatdorf der Familie auf, um das Grab von Idas Eltern zu finden. Es ist eine Reise in eine düstere Vergangenheit. Ida erfährt, dass sie jüdischer Herkunft ist und in Wirklichkeit Anna heißt. Ihre Eltern wurden erst von Bauern versteckt und später ermordet.

Der in Polen geborene englische Regisseur Pawel Pawlikowski (MY SUMMER OF LOVE) hat IDA als melancholischen Roadtrip zweier ungleicher aber gleichermaßen starker Persönlichkeiten inszeniert. Wanda hat als überzeugte Sozialistin und unerbittliche Staatsanwältin nach dem Krieg Kriegsverbrecher und politische Gegner verfolgt und zu Tode verurteilt. Sie feiert und trinkt gern, ist wortgewandt, lakonisch, und überzeugte Atheistin. Ida dagegen lässt sich von den Eskapaden, den Flirt- und Kupplungsversuchen und den Provokationen ihrer Tante nicht aus der Ruhe bringen. Unbeirrbar, geradezu starrköpfig hält sie an ihrem Glauben und seinen Ritualen fest. Dennoch entwickelt sich auf der Reise eine große Zuneigung zwischen den Frauen, vielleicht, weil sie beide keinen Ort mehr haben, an dem sie wirklich dazu gehören. Zwischen ihnen und der katholischen polnischen Bevölkerung klafft eine Lücke, die weder Wandas politische Zugehörigkeit noch Idas Katholizismus überbrücken können.

IDA fängt diese existentielle Traurigkeit in atemberaubend schönen Bildern und kleinen lakonischen Szenen ein. Ein bisschen so, als würde sich jemand an eine geliebte Person erinnern und versuchen, sich jedes Detail genau ins Gedächtnis zurück zu rufen, die Textur eines Kopftuchs, das Grau der Häuser, den Song, den die Jazzband an jenem besonderen Abend gespielt hat, als Wanda tanzen gegangen ist und Ida darauf bestand, keusch im Hotelzimmer zurückzubleiben. Ganz spät in der Nacht ist sie dann doch hinuntergegangen in den fast leeren Saal und hat dem hübschen Saxophonisten gelauscht, wie er den allerletzten Song gespielt hat. Und später haben die beiden dann noch vor dem Haus gesessen und geredet.

Im englischen Blog filmcomment beschreibt Pawlikowski wie er diesen „Erinnerungs-Effekt“ erreicht hat: „ Das Geheimnis ist Weglassen. Ich habe die ganze Zeit Dinge entfernt, und nur eine begrenzte Anzahl von Objekten im Bild gelassen, die so mehr Gewicht bekommen haben. Auf diese Weise ist das Bild keine Wiedergabe der Realität sondern stellt eine eigene Realität dar. Was wir gemacht haben, war, die richtigen Elemente zu finden und den ganzen falschen Realismus, die Extras, zu entfernen. (…) Wenn man den Film dann sieht, erinnert man sich an ihn wie an eine Traumlandschaft, nicht wie an eine Reproduktion von Wirklichkeit.“ (Interview mit Violet Luca vom 21.1.2014)

Hendrike Bake

Details

Dänemark/Polen 2013, 80 min
Genre: Drama
Regie: Pawel Pawlikowski
Drehbuch: Pawel Pawlikowski
Kamera: Lukasz Za
Schnitt: Jaroslaw Kaminsk
Verleih: Arsenal Filmverleih
Darsteller: Agata Kulesza, Agata Trzebuchowska, Dawid Ogrodnik, Joanna Kulig
FSK: oA
Kinostart: 10.04.2014

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