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God's Own Country

Begehrlichkeiten brechen auf

Es ist ein hartes, einsames Leben, das Johnny Saxby auf der Farm seines Vaters in Yorkshire in Nordengland führt. Als der rumänische Saisonarbeiter Georghe auftaucht, und sich Johnny verliebt, eröffnen sich ihm neue Welten.

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Der sehr physische Film mit minimalen Dialogen nimmt den Zuschauer mit in das sehr physische Leben, das Johnny Saxby auf der Farm seines Vaters in Yorkshire in Nordengland führt: Kühe melken, einem Schaf zwischen die Läufe greifen und das Lamm auf die Welt holen, Mist schaufeln, ein nicht lebensfähiges Kalb erschießen. Francis Lee schaut in seinem ersten Langfilm nicht dezent weg, sondern zeigt das Landleben in all seiner Härte und Johnnys Welt in all ihrer Einsamkeit und Brutalität. Raum für eigene Lebensgestaltung: Nicht vorhanden. Zwischenmenschliche Kontakte: Minimal. Perspektive auf Veränderung: Keine. Der Vater kann nach einem Schlaganfall nicht mehr arbeiten, die Mutter ist schon lange Richtung Südengland verschwunden. Johnny schuftet, weil er muss, betrinkt sich allabendlich im örtlichen Pub, tauscht mit Vater und Großmutter abfällige Bemerkungen aus und hat manchmal heimlich Sex mit anderen jungen Farmarbeitern. Dann kommt Georghe auf die Farm, Saisonarbeiter aus Rumänien. Johnny lehnt ihn ab, doch der Neue ist anders als alle, die er kennt. Aus der anfänglichen Konkurrenz wird Anziehung, eine leidenschaftliche Affäre und schließlich tauchen Gefühle auf, die Johnny nicht kennt und die ihn überfordern.

Die Annäherung der beiden jungen Männer ist das Herzstück des Films und erinnert in Setting und Story natürlich an die Liebesgeschichte zweier Cowboys in Ang Lees BROKEBACK MOUNTAIN: Hoch oben in den Bergen, wo die beiden campieren und eine Schafherde versorgen, gelten die alltäglichen Regeln nicht. Gefühle und Begehrlichkeiten brechen auf, die sonst unter Verschluss gehalten werden. Der Film nimmt sich Zeit für diese Begegnung, für die ganz kleinen Gesten und Schritte, mit denen sie passiert. Die körperliche Annäherung beginnt so brutal, wie Johnny es gewöhnt ist – doch Georghe bringt ihm bei, dass es auch etwas anderes gibt. Berührungen, Zärtlichkeit, Sich-aufeinander-einlassen – all das inszeniert Francis Lee mit sensiblem Gespür für Momente, in denen die Zeit stillzustehen scheint und die bisherige Ordnung der Welt sich ändert. Johnny lernt ein neues Land kennen. Doch lässt sich das in Einklang bringen mit dem Rest seines Lebens?

Ang Lees BROKEBACK MOUNTAIN spielte in den USA der 1960er und 70er Jahre. Homosexualität war ein Tabu und eine gemeinsame Zukunft für ein offen homosexuelles Paar im ländlichen Milieu unvorstellbar. Im 21. Jahrhundert sind glücklicherweise auch die Cowboys weitergekommen. Francis Lee schickt seinen Johnny auf einen Lernweg, der nicht leicht ist, aber ihm eine Chance gibt. Die Konfrontation mit Georghe, der so klar formulieren kann, wer er ist und was er will, das drohende Saisonende und ein weiterer Schicksalsschlag stellen ihn vor Herausforderungen, die sich auf seine gewohnte Art nicht bewältigen lassen. Hier entwickelt GOD'S OWN COUNTRY seine schönste Kraft, den Gegenpol zur fatalistischen Lebensweise vom Anfang: Er gibt seinem Helden den Raum zu wachsen, neue Lebenskonzepte zu entdecken, ohne den Boden der ländlichen Realität zu verlassen. Johnny, der sich immer nur über körperliche Aktionen, ihre Stärke und Funktionalität definiert hat, lernt den Raum der Seele und der Gedanken kennen und diese in Worte zu fassen. Josh O´Connor spielt intensiv und glaubwürdig, ebenso wie der gesamte Cast.

GOD'S OWN COUNTRY nennen die Einheimischen die Landschaft in West Yorkshire, in der die Geschichte angesiedelt ist. Sie diente schon als Romankulisse für Emily Brontés „Sturmhöhe“ und ist die Heimat des Regisseurs. Schön, dass die Figuren seines Films es mehr und mehr in die eigene Hand nehmen, ihr Leben im „Land Gottes“ zu gestalten.

Susanne Stern

Details

Großbritannien 2017, 104 min
Genre: Drama, Liebesgeschichte
Regie: Francis Lee
Drehbuch: Francis Lee
Kamera: Joshua James Richards
Schnitt: Chris Wyatt
Musik: Dustin O'Halloran, Adam Wiltzie
Verleih: Salzgeber & Co Medien
Darsteller: Gemma Jones, Ian Hart, Alec Secareanu
FSK: 12
Kinostart: 26.10.2017

Website
IMDB

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