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Elle

Isabel Huppert!!!

Isabel Huppert ist Michèle, die Co-Chefin einer Computerspielentwicklungsfirma. Als sie in ihrer Wohnung von einem Mann mit Maske vergewaltigt wird, reagiert sie pragmatisch: Sie tauscht die Schlösser aus und besorgt sich Waffen. Aber irgendetwas in dem Szenario turnt sie an: sie beginnt ihrerseits mit ihm zu spielen.

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Wenn ich im Februar nur einen einzigen Film sehen dürfte, würde ich mich für ELLE entscheiden, schon weil ELLE so vieles gleichzeitig ist. ELLE ist dreistes Exploitation-Kino mit einem wilden Plot, der jedem B-Movie zu Ehre gereichen würde. ELLE ist phantastisches Schauspielerkino, mit einem Ensemble, bei dem Mimik, Gestik, Zusammenspiel und – am schwersten von allem - komisches Timing auf den Punkt sitzen. ELLE ist ein gelungener Thriller mit haarsträubenden Twists. ELLE ist eine brilliante Komödie die Isabel Huppert messerscharfe Dialoge schenkt, aber vor Slapstick auch nicht zurück schreckt. Elle ist ein feines, postmodernes, feministisches Buddy-Movie. Und am Schönsten, wie auch an dieser Auflistung zu erkennen: ELLE lässt sich nicht auf den Punkt bringen, bleibt widersprüchlich, auch nach mehrfachem Sehen.

Das alles funktioniert allein wegen Isabel Huppert. Ich zumindest kann mir niemanden sonst vorstellen, der ein so wirres Gerüst zusammenhalten könnte, als diese kleine, zähe Frau, die es schafft, gleichzeitig ultrabeherrscht und expansiv zu sein, und die mit dem Heben einer Augenbraue je nach Wahl Existenzen vernichten, Männer schmelzen oder einen Zuschauerraum zum Kichern bringen kann. Oder auch alles gleichzeitig.
Hier spielt Huppert Michèle, die Co-Chefin einer Computerspielentwicklungsfirma, mit einer traumatischen Vergangenheit und einem ätzenden No-Nonsense-Humor. Gleich in der ersten Szene wird sie in ihrer Wohnung von einem Mann in einer schwarzen Maske überfallen und brutal vergewaltigt. Sie wehrt sich mit Händen und Füßen, während ihr Kater unbeteiligt zuschaut. Danach scheint jeder verdächtig, zumindest für den Zuschauer. War es der freundliche, christliche Nachbar, der die Jesusfamilie im Garten aufstellt, einer der jungen Computernerds in ihrer Firma, die ihre Chefin alle insgeheim hassen oder über ihren Animationen masturbieren, oder der etwas trottelige Geliebte. Sogar der verwöhnte Sohn scheint dubios. Immerhin ist die Familie genetisch vorbelastet, was Gewalt angeht. Michèle ist pragmatisch: sie lässt sich auf Geschlechtskrankheiten untersuchen, tauscht die Schlösser aus und besorgt sich Waffen. Aber als der Verfolger sich erneut meldet und sie feststellt, dass irgendetwas in dem Szenario sie anturnt, beginnt sie ihrerseits mit ihm zu spielen.

Eine gewagte Konstellation, die sowas von hätte schiefgehen können, aber die auf jene magische Art funktioniert, in der nur gewagte Filme funktionieren. Die (fast) einhellige Begeisterung, die ELLE entgegen gebracht wird, ist erstaunlich in einer Zeit, in der vehemente Debatten über Rape-Culture geführt werden, und auch angesichts Verhoevens Gesamtwerk. Für die Vorbereitung für diesen Text habe ich mich noch einmal durch einige Filme von Paul Verhoeven geguckt – TÜRKISCHER HONIG, BASIC INSTINCT, SHOWGIRLS – erstaunlicherweise kamen in allen drei Filmen Vergewaltigungsszenen vor. Sehr unangenehm sind die Szenen in den beiden erstgenannten Filmen, bei denen in beiden Fällen Männer über die Ex-Freundin herfallen, einmal aus Zorn, einmal aus Lust, und der Film das in beiden Fällen bagatellisiert. Die Frauen wehren sich kaum und verzeihen schnell. Die Gruppenvergewaltigung in SHOWGIRLS dagegen ist als grauenhaft geschildert und wird von Heldin Nomi Malone souverän gerächt. Die Perspektive hat sich gewandelt. Dennoch ist da eine voyeuristische Doppelmoral im Spiel, die mich misstrauisch macht.

In ELLE setzte sich Michèle nicht nur aktiv zur Wehr – sie dreht den Blick um, lenkt ihn auf den Täter statt aufs Opfer, macht ihn zum erotischen Objekt. Das ist mit Sicherheit pervers, aber es ist auch ein Akt großer Befreiung. Die Szene ist auf einmal nicht mehr seine Fantasie, sondern ihre. Wie in ihren Computerspielen zieht sie die Fäden. Die Umkehrung des Blicks ist Verhoevens Idee. Dass sie funktioniert und nicht zu einer Art Meta-Voyeurismus ausartet, der dann wie bei SHOWGIRLS wieder mit goldenen Himbeeren ausgezeichnet wird, liegt an der Huppert. Einen Golden Globe als beste Darstellerin hat sie schon, der Oscar scheint auch nicht unwahrscheinlich.

Hendrike Bake

Details

Deutschland/Frankreich/Belgien 2016, 130 min
Genre: Drama, Thriller
Regie: Paul Verhoeven
Drehbuch: Philippe Djian, David Birke, Harold Manning
Kamera: Stéphane Fontaine
Schnitt: Job ter Burg
Verleih: Münchner Verleih Agentur
Darsteller: Isabelle Huppert, Christian Berkel, Anne Consigny, Virginie Efira, Charles Berling
FSK: 16
Kinostart: 16.02.2017

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IMDB

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