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Dido Elizabeth Belle

Sklaverei, Aristokratie und Versicherungen

Dido Elisabeth Belle, Kind eines englischen Offiziers und einer afrikanischen Sklavin, wächst bei ihrem adeligen Onkel in England als - fast - gleichberechtigtes Familienmitglied auf.

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Im Scone Palace in Perth hängt ein ungewöhnliches Porträt. „The double portrait Dido Elizabeth Belle and Lady Elizabeth Murray“ (ca. 1770, unbekannter Maler) zeigt zwei junge adlige Frauen vor einer generisch-romantischen Gartenkulisse. Die Frau im Vordergrund, Lady Elizabeth Murray, trägt ein rosa Seidenkleid, hält ein aufgeschlagenes Buch in der Hand und lächelt den Betrachter an. Schräg rechts hinter ihr blickt eine zweite junge Frau mit einem verschmitzten Lächeln direkt auf den Betrachter. Es ist Dido Elisabeth Belle und: sie ist dunkelhäutig. Für gewöhnlich tauchten Farbige in der Malerei der Zeit, wenn überhaupt, dann als Dienstboten im Hintergrund auf, optisch deutlich unterhalb der Herrschaft angesiedelt und den Blick auf diese gerichtet.
Das Bild hat bereits mehrere wissenschaftliche Arbeiten und Romane inspiriert und nun auch einen großen Kostümfilm. DIDO ELISABETH BELLE der britisch-ghanaischen Regisseurin Amma Asanthe erzählt die ungewöhnliche Geschichte hinter dem Doppelporträt: Dido Elisabeth Belle (Gugu Mbatha-Raw) ist die Tochter des englischen Offiziers Sir John Lindsay und der Afrikanerin Maria Belle. Nach dem Tod ihrer Mutter, da ist sie gerade einmal 8 Jahre alt, wird Belle von ihrem Vater bei ihrem Onkel, dem Earl of Mansfield, in England untergebracht. Dort wächst auch schon ihre gleichaltrige Cousine Elisabeth als Pflegekind auf. Ihre Herkunft und ihr Status sorgen für Verwirrung in der strikt durchorganisierten Ständeordnung des viktorianischen England. Einerseits ist sie eine Farbige, Kind einer Sklavin, andererseits die anerkannte Tochter eines adligen Offiziers und die Nichte des englischen Lord Oberrichters. Mehr noch, im Gegensatz zu ihrer Cousine ist sie eine reiche Erbin und damit hoch interessant für verarmte zweite und dritte Söhne der besseren Kreise. Es erinnert an Jane Austens Verheiratungsdramen, wie DIDO ELISABETH BELLE mit hochkarätiger Besetzung und gediegener Ausstattung von den Verrenkungen erzählt, die aus dieser einmaligen gesellschaftlichen Ausgangslage entstehen. Emily Watson gibt die verkniffene Tante, Tom Wilkinson den großherzigeren Onkel. Während die beiden Belle im engsten Familienkreis als gleichberechtigtes Familienmitglied behandeln, muss sie getrennt essen, sobald Gäste da sind. Nach Tisch darf sie dazukommen, singen aber erst, als einer der Gäste darum bittet. Sogar John, Pfarrerssohn und leidenschaftlicher Gegner der Sklaverei, der ein Jura-Praktikum bei ihrem Onkel absolviert, scheint dann über ihr zu stehen. Immer wieder steht Belle im großen Wandelgang von Kenwood House und betrachtet ein anderes Gemälde, in dem eine schwarzer Dienerin mit großen ehrfürchtigen Glupschaugen zu ihrer weißen Herrin aufschaut (Porträt von Lady Elizabeth Keppel, 1761, Joshua Reynolds). Andere Vorbilder scheint es für sie nicht zu geben, sie wird ihren Weg alleine finden müssen.
In das souverän und durchaus mainstreamtauglich verfilmte Gesellschaftspanorama flicht Regisseurin Amma Asante klug eine historisch-politische Dimension: 1781 verhandelt der oberste Gerichtshof in England den Fall des Sklavenschiffes „Zong“, das 132 erkrankte Sklaven unter dem Vorwand von Wassermangel im Meer ertränkt hatte. Die Versicherungsleistung versprach höher auszufallen als der Verkauf verdorbener „Ware“. Gegen dieses Vorgehen hatte die Versicherungsgesellschaft geklagt. Der Fall, über den Belles Onkel Lord Mansfield als Lord Oberrichter in letzter Instanz zu entscheiden hat, macht das Unrecht der Sklaverei zum gesellschaftlich heiß diskutierten Thema. Lord Mansfield war darüber hinaus als entschiedener Gegner der Sklaverei bekannt, der im Zusammenhang mit einem anderen Verfahren äußerte: „Die Sklaverei ist so hassenswert, dass es keinen einzigen Grund gibt, sie zu unterstützen.“
Ob, wie es der Film erzählt, der Fall auch in Kenwood House Tischgespräch war, und zu Belles politischer Bewusstwerdung und sogar Radikalisierung beitrug, ist nicht bekannt. Bei Amma Asanthe darf Belle jedenfalls zu einer engagierten und emanzipierten Frau heranwachsen, die sich eigene Spielräume erobert und in einer von Vorschriften und Standesdünkel beherrschten Gesellschaft sogar romantische, gleichberechtigte Liebe findet.

Hendrike Bake

Details

Originaltitel: Belle
Großbritannien 2013, 104 min
Genre: Drama, Historischer Film
Regie: Amma Asante
Drehbuch: Misan Sagay
Kamera: Ben Smithard
Schnitt: Pia Di Ciaula
Verleih: Twentieth Century Fox
Darsteller: Miranda Richardson, Tom Wilkinson, Emily Watson, Matthew Goode, Gugu Mbatha-Raw, Penelope Wilton
FSK: 6
Kinostart: 14.08.2014

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