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Dalida

Trauma, Rausch, Liebe und Tod

DALIDA ist ein wildes Biopic über die einst berühmte Sängerin, ein Porträt der Leidenschaften, Träume und der Melancholie einer Generation, ein postmodernes Musical-Melodrama und eine wüste, fiebrige Fantasie über Trauma, Rausch, Liebe und Tod.

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Wer hat eigentlich behauptet, dass großes Unterhaltungskino keine Avantgarde sein kann? Während „männliche“ Filmgenres wie Thriller, Horror, Sci-Fi und selbst (Soft-)Porno mittlerweile rehabilitiert sind, sitzen die traditionellen "Frauen"-Genres Melodram, romantische Komödie und auch das Musical immer noch am Katzentisch der Filmrezeption, jedenfalls soweit es um aktuelle Produktionen geht und nicht um alte Meister wie Douglas Sirk, King Vidor oder Michael Curtiz.

Liza Azuelos, die vor allem für die romantische Komödie LOL bekannt ist, hat mit DALIDA ein wildes Biopic über die einst berühmte Sängerin gedreht, ein Porträt der Leidenschaften, Träume und der Melancholie einer Generation, ein postmodernes Musical-Melodrama und eine wüste, fiebrige Fantasie über Trauma, Rausch, Liebe und Tod. Auf den ersten Blick sieht DALIDA wie purer Camp aus, wie eine irrwitzig bunte Kitschgeschichte aus der Welt der Schönen und Reichen, wie wüster Zitatpop, in dem selbst die Dialoge wie Zeilen aus den melancholisch glühenden Schlagern von Dalida wirken, und die Bilder zugleich überhöht und mit einem Hauch schmuddeligen Tingeltangel versehen sind. Aber DALIDA dreht die Camp-Schraube der liebevoll ironischen Affirmation vermeintlich „niederer“ Kultur ein gutes Stück weiter: Hier ist alles leidenschaftlich ernst gemeint, und gerade deshalb funktioniert der Film als Seelen- und Erinnerungsbild.

Der Film beginnt mit Dalidas erstem Selbstmordversuch, ein Dinner mit dem Bruder, der selbstgestrickte Schal ist schon durch die ausgewaschenen Depressionsfarben als ein Abschiedsgeschenk erkennbar. In der Psychiatrie, in die Dalida eingeliefert wird, klopfen Ärzte das Verhältnis der Männer, die sie besuchen wollen, zu ihrer Patientin ab. Deren Erzählungen werden zu Erinnerungsbildern, die das Leben der Sängerin schildern: immer wieder achronologisch, bald gehetzt, dann wieder – in Momenten intensivsten Schmerzes – bis zum Zerreißen gedehnt. Dalida, mit bürgerlichem Namen Iolanda Cristina Gigliotti, wird in Kairo 1933 als Tochter eines italienischen Musikers geboren. Als ein erstes Trauma schildert ihr Bruder Orlando die Verhaftung des Vaters als Nazi-Kollaborateur. Die Kamera bleibt lange, lange auf dem Bild des weinenden, untröstlichen kleinen Mädchens und rauscht dann weiter durch Dalidas Karriere und Privatleben, das von wechselnden Liebhabern, von denen sich immerhin drei das Leben nahmen, und zugleich von Glamour und Depression geprägt war. Vom Jubel bei Konzerten im Olympia geht es mit einem Schnitt in die Badewanne, in der Dalida im Alkohol- und Drogennebel eingeschlafen ist, oder auch mal direkt auf die Intensivstation, wo Dalida an Maschinen angeschlossen und ins Leben zurück gezerrt wird. „Ich versuche, glücklich zu sein, aber um mich wütet der Tod“, sagt sie zu einem ihrer Ärzte – eine Zeile wie aus einem ihrer Lieder, die den Film begleiten und kommentieren. Gerade noch betrauert sie, als Mater Dolorosa in Szene gesetzt, hemmungslos schluchzend den toten Geliebten, dann steht sie schon wieder auf der Bühne, inmitten einer Party oder trifft den schönen, durchgeknallten „Conte de St. Germain“ alias Richard Chanfray der in den 70er Jahren im französischen Fernsehen mit Hilfe eines Campingkochers Blei in Gold verwandelte und behauptete, 1700 Jahre alt zu sein.

Während die öffentliche Dalida mit ihrer polyglotten Internationalität die Sehnsüchte des bürgerlichen Miefs der 50er bis 80er Jahre in Italien, Frankreich, Deutschland und Ägypten repräsentiert, träumt Iolanda privat eben von den bürgerlichen Konventionen, aus denen die Glamourwelt kleine Fluchten verspricht. Iolanda will heiraten, ein Kind, Sicherheit – aber es gibt noch kein Modell, das ihren unkonventionellen, glamourösen Lebensstil mit diesen Wünschen versöhnt. Liza Azuelos hat eines der riskantesten und gelungensten Porträts geschaffen, das seit Martin Scorseses RAGING BULL von der Leinwand geprasselt ist.

Tom Dorow

Details

Frankreich 2017, 127 min
Genre: Drama, Biografie, Musikfilm
Regie: Lisa Azuelos
Drehbuch: Lisa Azuelos
Kamera: Antoine Sanier
Schnitt: Baptiste Druot
Musik: Jean-Claude Petit
Verleih: NFP / Filmwe
Darsteller: Riccardo Scamarcio, Nicolas Duvauchelle, Patrick Timsit, Sveva Alviti
Kinostart: 10.08.2017

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IMDB

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