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Blade Runner 2049

Vollendete Künstlichkeit, lebende Landschaften

Besser hätte die Blade-Runner-Fortsetzung vermutlich nicht gelingen können.

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Denis Villeneuve hat, mit einem Dia, das vor allen Pressevorführungen gezeigt wurde, darum gebeten, nichts vom Plot seines Films zu verraten, um Zuschauern die gleiche Kinoerfahrung zu ermöglichen, die uns Pressefuzzis gegeben war. Also nichts über den Plot des Films. Zunächst zurück zu Ridley Scotts BLADE RUNNER.

Heute ist nicht mehr ganz klar, welcher Film eigentlich gemeint ist, weil BLADE RUNNER inzwischen in so vielen und so unterschiedlichen Versionen existiert. Die Kinoversion von 1982 traf einen Nerv der Zeit. Als junge Kinofreaks waren wir auf einer Diät aus Noir-Romanen, Film Noir und Neo-Film Noir aufgewachsen, und wo sich STAR WARS einige Jahre zuvor auf Mantel- und Degen-Filme bezogen hatte, stapfte in BLADE RUNNER der melancholische Pseudo-Detektiv Deckard, der eigentlich ein skrupelloser Killer war, durch eine Welt aus Hi-Tech und Dreck, die sich aber sonst kaum von der Welt von Dashiell Hammett, Raymond Chandler, Cornell Woolrich und Ross McDonald unterschied. Es gab einen melancholisch-zynischen Off-Kommentar, den Deckard sprach, in dem der Philipp Marlowe-Sound mehr als nur nachklang. Es gab eine Femme Fatale mit einer exzentrischen Frisur, die Deckard auf einen scheinbar besseren Weg brachte. Es gab ein großartiges, von verschiedenen Quellen inspiriertes Set- und Production-Design, das heute noch so frisch wirkt wie vor 35 Jahren, einen Soundtrack zwischen 40er Jahre Jazz und Elektronik-Pop vom griechischen Popstar Vangelis, der so klang wie der Film: etwas, das man einerseits noch nie gesehen hatte, andererseits schon immer kannte. BLADE RUNNER manövrierte eng an Kitsch-Klippen entlang und riskierte manchmal den Absturz, wie in der Szene, in der Rutger Hauer eine weiße Taube fliegen lässt. Die komplexe narrative Struktur des Films fing diese offen ausgestellten Over-the-top-Momente aber immer wieder auf, in dem sie ihren offensichtlichen Sinn in Frage zu stellen schien. Dabei erzeugte der Film weniger narrativen Zusammenhang als die Einbindung in Noir-Tradition vermuten ließ.

Anders als etwa bei STAR WARS, den George Lukas ja ebenfalls immer wieder umschneiden und ergänzen ließ, erzeugten die verschiedenen Schnittfassungen von BLADE RUNNER auch immer wieder neuen Sinn. Die Geschichte sieht zunächst aus wie die eines klassischen getriebenen Helden, der eine Gruppe von Schurken, gefährlichen Replikanten-Cyborgs,, jagt, die aussehen wie Menschen, aber ohne menschlichen Impuls töten. Als er sich in einen Cyborg verliebt, ändert sich seine Perspektive und er beginnt, die Humanität der Cyborgs zu erkennen. Eine Geschichte, die einfach genug ist, und relativ einfache Fragen stellt: Wo beginnt Humanität, welche Handlung ist moralisch usw. Es gab in einigen Fassungen einen Subplot, in der Origami-Figuren, die ein Vorgesetzter von Deckard faltete, am Ende des Films mit Träumen von Deckard korrespondierten, was nahelegte, dass Deckards Träume Implantationen seiner Konstrukteure waren. Wenn Deckard selbst ein Replikant war, machte das den ganzen Plot zur Geschichte einer großen paranoiden Verschwörung, aber mit welchem Ziel?

Wo Ridley Scotts Vision der Zukunft vor allem auch die einer spezifischen Vergangenheit war, der vierziger Jahre, und ausschließlich die Urbanität abbildete, zeigt Denis Villeneuve eine Zukunft, die leerer und weiter ist. Villeneuve war schon immer ein Meister der lebenden, atmenden Landschaften, und in BLADE RUNNER 2049 sind die verschiedenen apokalyptischen, überflogenen Landschaften atemberaubend. Villeneuves Städte und Innenräume zitieren zwar noch Scotts Vorbild, orientieren sich aber eher am Brutalismus und der utopischen Eleganz der sechziger und siebziger Jahre, mit sehr genauen Verschiebungen. Je exklusiver der Raum wird, desto mehr Wasser und Holz findet sich im Dekor. Biomasse ist das wertvollste Material geworden. In einer Welt vollendeter Künstlichkeit ist das tatsächlich Lebendige eine Ware mit außerordentlichem Wert geworden. Natur wird zum Symbol einer vollendeten Warenzirkulation. Je wärmer die Farben werden, desto kälter die Luft. Das sieht alles wahnsinnig gut aus und ist klug genug.

Villeneuve interessiert sich nicht mehr für die Frage nach der menschlichen Identität. Die Subjektivität der Moderne ist erledigt. Wir wissen längst, dass wir zusammengesetzte und zerrissene Wesen sind, deren Individualität nicht mehr als eine hilfreiche Illusion ist. Die sentimentale Idee, dass unsere Gefühle irgendetwas über unsere Menschlichkeit aussagen, was in Scotts Film noch eine wichtige Rolle spielte, ist hier erledigt. Es spielt nicht einmal mehr eine große Rolle, wer ein Replikant ist oder nicht. Replikanten sind wir eh alle. Humanität zeigt sich in BLADE RUNNER 2049 im Handeln, vor allem aber in der Fähigkeit, selbst Illusionen zu produzieren, sich zu irren, andere zu täuschen, und deren tröstende Illusionen aufrecht zu erhalten. Moralisch scheint es, das Ich der Anderen zu stützen, so konstruiert es auch sein mag. Ob dadurch die Welt gerettet wird, ist eine andere Frage.

Mit Ryan Gosling hat Villeneuve den emotionslosesten Star des Gegenwartskinos als neuen Blade Runner besetzt, jemanden, dem man seine Menschlichkeit nie ganz abgenommen hat, der von Kindheit an von der Disney-Corporation geformt wurde. Gosling passt genau in seine Rolle, in diesem jenseits der Katastrophe schwebenden Film, der so viel künstliche Seele in den Formen hat, dass man endlos zusehen könnte. Besser hätte die Blade-Runner-Fortsetzung vermutlich nicht gelingen können. Die Frauenfiguren sind übrigens auch weniger unerträglich als in Scotts Film. Hans Zimmers Soundtrack streicht die Jazz-Anspielungen, lässt aber das düstere Synthie-Brummen weitervibrieren. Alles gut, muss man gesehen haben. Zum Vorglühen hat Warner Bros. bei youtube ganz offiziell drei Kurzfilme eingestellt, die von der Zeit zwischen altem und neuem BLADE RUNNER erzählen, BLADE RUNNER: BLACKOUT 2022 einen Animationsfilm von Shinichiro Watanabe, BLADE RUNNER 2036: NEXUS DAWN und BLADE RUNNER 2048: NOWHERE TO RUN, beide von Ridley Scotts Sohn Luke Scott inszeniert.

Und hier kann man das Original noch einmal im Kino gucken: http://www.indiekino.de/film/de/blade_runner-final_cut

Tom Dorow

Details

Kanada/USA/Großbritannien 2017, 163 min
Genre: Science Fiction
Regie: Denis Villeneuve
Drehbuch: Michael Green, Hampton Fancher
Kamera: Roger Deakins
Schnitt: Joe Walker
Musik: Jóhann Jóhannsson
Verleih: Sony Pictures
Darsteller: Robin Wright Penn, Ryan Gosling, Jared Leto, Harrison Ford, Dave Bautista, Mackenzie Davis
FSK: 12
Kinostart: 05.10.2017

IMDB

Vorführungen

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