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Bauernopfer – Spiel der Könige

Schach als Stellvertreterkrieg

1972, mitten im kalten Krieg, fordert das amerikanische Schach-Wunderkind Bobby Fischer in Island den amtierenden - und wie immer russischen - Großmeister Boris Spasski heraus. Das Turnier gerät zum medialen Stellvertreterkrieg. Ein Film über Politik, Genie, Wahnsinn und Schach.

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1972, mitten im kalten Krieg, fordert das amerikanische Schach-Wunderkind Bobby Fischer in Island den amtierenden - und wie immer russischen - Großmeister Boris Spasski heraus. Das Turnier gerät zum medialen Stellvertreterkrieg, der Druck auf die beiden Weltklassespieler ist enorm. In der ersten Runde verliert Fischer. Zur zweiten erscheint er überhaupt nicht. Stattdessen schickt er eine Liste mit Bedingungen für eine Fortsetzung des Turniers, zu denen auch gehört, die Zuschauer auszusperren und das Turnier in den Tischtennisraum zu verlegen, den ungestörtesten Ort des Gebäudes.
Das Turnier, das als „Match des Jahrhunderts“ in die Schachgeschichte einging, und Bobbys Werdegang bis dorthin bilden das erzählerische Rückgrat von BAUERNOPFER, inhaltlich geht es um eine hochexplosive Mischung aus Politik, Genie, Wahnsinn und: Schach.

Toby Maguire spielt Fischer als nervöses Genie, hochsensibel, schon als Kind unduldsam – einmal erleben wir mit, wie er seine Mutter anfaucht, sie solle weniger Lärm machen, er könne sich nicht konzentrieren - ehrgeizig, arrogant und zunehmend auf einen Zusammenbruch zu schlingernd. In seiner Freizeit hört der gerade mal 20-Jährige antisemitische Propagandatapes (obschon er selbst jüdischer Herkunft ist). Er ist überzeugt, die Russen könnten ihn durch den Fernseher beobachten, und regelmäßig zerlegt er sein Hotelzimmer auf der Suche nach Wanzen. Seine beiden Coaches, ein patriotischer Anwalt und ein schachspielender Priester, nehmen Fischers labilen Zustand durchaus wahr. Sie reagieren mit mehr Schach und mehr Druck. Als Fischer droht, die Begegnung in Reykjavík platzen zu lassen, ruft Henry Kissinger persönlich bei ihm an. Fischer gegenüber gibt Boris Spasski – kongenial gespielt von Liev Schreiber - gerne den abgeklärten Strategen, einen Weltmann, der souverän mit den Anforderungen seines Regimes zu spielen weiß. Aber auch ihm merkt man die Anspannung an, die Müdigkeit, die der ganze Schachzirkus verursacht, und auch in seinen Augen blitzt gelegentlich der Wahnsinn des Nerds auf, der in seinem Kopf ständig mit Millionen möglicher Zugfolgen hantiert.

Beide Spieler sind Figuren in einem System, über das sie keine Kontrolle haben und deren Eckpunkte die beiden Großmächte, der Schachweltverband FIDE, die Medien und das nervenaufreibende Spiel selbst sind, Bauernopfer eben. Und das wissen sie auch: „Alle denken immer, es gibt unendlich viele Möglichkeiten. Dabei gibt es fast immer nur eine Möglichkeit und am Ende ist man gefangen.“ BAUERNOPFER beginnt flott, poppig und verspielt. Routiniert wird Bobbys schwierige Kindheit und sein Aufstieg zum Champion wegerzählt. Fast schon Comedycharakter hat der Besuch der russischen Schachdelegation in Kalifornien, die mit fetten Autos, Sonnenbrillen und Luxussuiten den Besuch im Kapitalismus auskostet, während der amerikanische Schachverband für Fischer gerade mal ein schäbiges Hotel auslegt. Bis zum entscheidenden Zweikampf spitzt sich BAUERNOPFER dann immer mehr zu. Gemeinsam mit Bobbys Erfolg wächst auch seine Popularität – Bobby Fischer löst seinerzeit eine kleine Schachmanie im Westen aus – und seine Paranoia. Als sich Fischer und Spasski schließlich gegenüber sitzen, ist die Frage nicht nur „Wer wird gewinnen?“, sondern auch „Hält Fischer durch?“

Beim finalen Turnier, das Regisseur Edward Zwick in allen seinen hanebüchenen, Geschichte schreibenden Wendungen verfolgt, sitzen dann nicht nur Schach-Kenner auf der Stuhlkante. Über die Kommentare der Spieler und die Reaktionen der Trainer, die im Nebenraum fassungslos mitfiebern, also sozusagen über Bande, vermittelt sich dabei auch für Laien zumindest eine Ahnung von der schachtechnischen Bedeutung der Partie, von der unorthodoxen Spielweise Fischers, die Spasski schließlich aus der Reserve lockte. „Die Eröffnung ist Selbstmord“ „Mein Trainer hat gesagt: Wer gewinnen will muss zum Selbstmord bereit sein“.

Das Turnier markierte den Höhepunkt und Endpunkt von Bobby Fischers Karriere. Nach dem Spiel zog sich Fischer komplett aus dem Profischach zurück und trat nur noch ein einziges Mal im Jahr 1992 in einem privat organisierten Wettkampf gegen seinen damaligen Widersacher Boris Spasski an.

Toni Ohms

Details

Originaltitel: Pawn Sacrifice
USA 2014, 114 min
Genre: Drama
Regie: Edward Zwick
Drehbuch: Steven Knight
Kamera: Bradford Young
Schnitt: Steven Rosenblum
Verleih: StudioCanal Deutschland
Darsteller: Tobey Maguire, Liev Schreiber, Michael Stuhlbarg
FSK: 6
Kinostart: 28.04.2016

Website
IMDB

Vorführungen

Keine Programmdaten vorhanden.

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